es läuft für Friedrich Merz, den neuen Chef der geschundenen CDU. Was kann einem Oppositionsführer Besseres passieren, als von der Außenministerin für „markige Sprüche“ gerügt zu werden? Gestern hatte Merz Kanzler Olaf Scholz im Bundestag mentale Abwesenheit vorgeworfen: „Sie führen nicht, weder in Deutschland noch in Europa.“ Nach all ihren laschen Stunden genoss die Unionsfraktion einen rhetorisch so starken Auftritt.
Vielleicht wurde dem etwas hölzernen Parteifreund Ralph Brinkhaus da klar, dass er als Fraktionschef weichen muss. Dazu kam es im Vier-Augen-Gespräch. Merz übernimmt schon im Februar. Am meisten freut sich die Union über einen Wechsel ganz ohne Schmutzeleien. Eine Wiederholung des Intrigenstadls rund um die Kanzlerkandidatur battle für die meisten eine Horrorvorstellung.
Bei geopolitischen Auseinandersetzungen wie der um die Ukraine entscheidet nicht Lautstärke, sondern Gedankenstärke. Am Ende zählt, wer nach dem Wortgeklingel noch mit wem paktieren kann. Als Kollateralschaden zeichnet sich aktuell ab, dass China näher an Russland rückt.
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- In einem Telefonat mit seinem amerikanischen Kollegen Antony Blinken bat Chinas Außenminister Wang Yi alle Parteien um Zurückhaltung. Die legitimen Besorgnisse Russlands um seine Sicherheit müssten „ernst genommen und gelöst“ werden. Im 21. Jahrhundert sollten alle Parteien „die Mentalität des Kalten Krieges komplett aufgeben“.
- Die EU leitete unterdessen vor der Welthandelsorganisation (WTO) ein Verfahren gegen China ein. Die Volksrepublik hat Litauen von der eigenen Zoll-Liste gestrichen, ein Handel ist damit praktisch unmöglich geworden. Litauens Exporte nach China brachen um mehr als 90 Prozent ein. Der baltische Staat hatte zuvor Taiwan eine eigene Vertretung im Land erlaubt. China aber sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an.
- China sei „ein Risiko für die Weltwirtschaft“, schreibt Professor Bert Rürup in seiner Kolumne „Der Chefökonom“. Drei Dekaden sei Chinas Aufstieg der Treiber der Weltkonjunktur gewesen, nun jedoch drohten Bremswirkungen aufgrund von Corona, Handelsstreit sowie Überalterung – „alle China-Strategien gehören auf den Prüfstand“.
Vielleicht halten wir noch mal inne und hören auf den chinesischen Basic und Philosophen Sunzi. Er verfasste um 500 v. Chr. das Buch „Die Kunst des Krieges“, darin heißt es: „Der klügste Krieger ist der, der niemals kämpfen muss.“
Je weiter der Konflikt mit Russland eskaliert, desto besser kommen die Amerikaner ins Geschäft. Mit ihrem verflüssigten Schiefer-Erdgas (LNG) wollen sie einen Teil der womöglich zur Disposition stehenden Erdgas-Lieferungen aus Russland kompensieren. Auch Katar, unser guter Verbündeter in allen Fragen des Fußball-Kommerzes, steht zur Verfügung. Der Emir hatte schon im vorigen November bekundet, „aufrichtiger Accomplice Deutschlands“ zu sein. Der größte arabische Investor will für seine diversen Beteiligungen an deutschen Firmen rund zehn Milliarden Euro mehr ausgeben. Wie genau die Notversorgungs-Allianz aussehen soll, werden Scheich Tamim Al Thani und US-Präsident Joe Biden nach unseren Informationen demnächst in Washington besprechen.
Das Poesie-Album der Börse ist voller Sprüche, die sich um antizyklisches Verhalten drehen. „Kaufen, wenn die Kanonen donnern – verkaufen, wenn die Violinen spielen“, dichtete Carl Mayer von Rothschild. Das hat Warren Buffett in den Jargon des modernen Cowboy-Kapitalismus übersetzt: „Sei gierig, wenn andere sich fürchten.“ Wo aber soll der geneigte Gierige zuschlagen, der davon ausgeht, dass es nach dem Herunterprügeln der Aktienkurse überall Schnäppchen gibt? In unserem Wochenendreport gehen wir dem in der beliebten Rubrik „Fragen Sie Dr. Sommer“ nach.
Unser Börsen-Experte Ulf Sommer durchleuchtet vier Methoden, um unterbewertete Aktien aufzustöbern.
- Das „Worth Investing“ der Veteranen Warren Buffett und Charles Munger. Sie interessieren sich für Firmen mit wenig Schulden, niedrigem Aktienkurs (gemessen am Gewinn), hoher Dividendenrendite und guten Buchwerten in der Bilanz. Man landet hier bei Coca-Cola, Amazon, Apple, der Financial institution of America und American Specific.
- Die Substanz-Methode. Gefragt wird nach einem möglichst günstigen Verhältnis des Kurses zum Buchwert. Die Liste umfasst die Deutsche Financial institution, Fresenius, Bayer, BMW und Beiersdorf.
- Die Dividenden-Strategie. Gefragt sind Titel mit hoher Dividende und niedrigem Kurs. Das trifft auf die Allianz, Procter & Gamble, Sanofi, Novartis und Munich Re zu.
- Der Fast-and-dirty-Ansatz. Er betrachtet Firmen in ethisch inkorrekten Branchen wie Öl, Tabak und Waffen. Die sind gewinnstark, aber moralisch kontaminiert. Hier tauchen RAE Programs, Basic Dynamics, British American Tobacco, Philip Morris und ExxonMobil auf.
Die Nervosität im Markt angesichts von Zinswende und Ukraine-Krise wird auch die raffinierteste Theorie nicht vergessen machen. Aber der geschulte Anleger weiß ja von Börsenguru André Kostolany, dass Börsengewinne Schmerzensgeld sind: „Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld.“
Jens Spahn (CDU), einst Deutschlands beliebtester Politiker, ist nur noch ein Schattenmann aus der Reservistenzone. Was im Gerede ist, sind die Hinterlassenschaften des Ex-Gesundheitsministers. In gleich 113 Gerichtsverfahren am Ministeriumssitz in Bonn schlagen sich die Helfer von Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) mit Alt-Lieferanten von Masken herum. Die hatte Spahn im März 2020 in einem „Open-Home“-Verfahren angeheuert. Jeder der mitbot, bekam einen Auftrag – was zu 6,4 Milliarden Euro Kosten führte. Weil die später engagierten Berater von EY viele Aufträge rückabwickelten, etwa wegen Qualitätsmängeln, entstand eine Prozesslawine.
In einem Fall kassierte die Lauterbach-Behörde nun vor dem Landgericht Bonn eine Abfuhr. Sie soll 2,1 Millionen Euro, plus Zinsen, an den Maskenhändler zahlen. Man habe versäumt, so das Gericht, beim Rücktritt vom Kaufvertrag „wegen mangelhafter Leistungen“ eine „Frist zur Nacherfüllung“ einzuräumen. Es drohen hunderte Millionen Euro Kosten für Maskenmüll sowie jährliche Zinszahlungen im zweistelligen Millionenbereich. Spahns Politikkünste haben eben ihren Preis.
Mein Kulturtipp zum Wochenende: „Serge“ von Yasmina Reza, ein jetzt auf Deutsch erschienener Roman über das Erinnern – hier am Beispiel des Schicksals der Poppers, einer bürgerlichen jüdischen Familie in Paris. Die Titelfigur: ein Berater, dem wenig glückt und der sich darüber mit Völlerei und Alkohol hinwegtröstet. Der Höhepunkt: Das fragile Familienmodell zerbricht bei einer Reise mit den zwei Geschwistern und den Kindern nach Auschwitz. Serge verweigert sich der vorgesehenen Gedenkkultur. Und irgendwann sagt sein Bruder Jean: „Von der Erinnerung ist nichts zu erwarten. Dieser Fetischismus der Erinnerung ist bloßer Schein.“
Und dann ist da noch der kanadische Rock-Veteran Neil Younger, 76, der nach einem spektakulären Mann-gegen-Mann-Kampf seine Musik der Streamingplattform Spotify entzieht. Der Grammy-Gewinner hatte sich über Podcaster Joe Rogan, 54, echauffiert. Der habe in seiner exklusiv auf Spotify publizierten Present „The Joe Rogan Expertise“ Pretend-Information über Corona und Impfungen verbreitet. Spotify sei „zu einem Ort der potenziell tödlichen Desinformation geworden“.
Da das schwedische Unternehmen zu diesen Klängen schwieg, hinterlässt Mister Younger nur noch wenige Lieder bei Spotify. Sieht ganz so aus, als habe der Streamingdienst den Podcaster über den Rockstar gesetzt. Der greift vielleicht einfach zur Gitarre und singt es noch mal: „Carry on rockin‘ within the free world.“
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, rocken Sie es.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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