Morbus Meulengracht ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung. Meist bereitet sie keine Beschwerden. Wenn doch, ist vor allem ein Symptom typisch.
Das Wichtigste im Überblick
Das Meulengracht-Syndrom (Morbus Meulengracht) kommt insbesondere in der europäischen Bevölkerung relativ häufig vor. Wie häufig genau, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Die Schätzungen schwanken zwischen 4 und 16 Prozent.
Viele Menschen mit Morbus Meulengracht wissen allerdings lange Zeit gar nicht, dass sie das Syndrom haben. Denn Symptome treten nur selten oder auch gar nicht auf. Wenn es zu Beschwerden kommt, empfinden dies viele Betroffene jedoch als sehr belastend.
Gut zu wissen
Morbus Meulengracht ist harmlos. Mittlerweile sprechen Fachleute nicht mehr von einer Erkrankung. Da „Morbus“ so viel wie „Krankheit“ bedeutet, ist also streng genommen die Bezeichnung Meulengracht-Syndrom treffender.
Was ist Morbus Meulengracht?
Das Meulengracht-Syndrom ist erblich. Es entsteht nur, wenn beide Elternteile je ein verändertes Gen an das Kind weitergeben (autosomal-rezessiver Erbgang).
Bei Menschen mit Morbus Meulengracht baut der Körper den gelb-bräunlichen Gallenfarbstoff Bilirubin langsamer ab als normal. Bilirubin ist ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, der sich in den roten Blutkörperchen befindet.
Endet der Lebenszyklus eines roten Blutkörperchens, wird es abgebaut. Das dabei entstehende Bilirubin wird aus dem Blut in die Leber transportiert. Von dort gerät es größtenteils über die Gallenwege in den Darm und wird anschließend ausgeschieden.
Bei Morbus Meulengracht ist ein bestimmtes Enzym, das am Abbau des Bilirubins beteiligt ist, weniger aktiv. Die Folge: Der Körper kann das Bilirubin nicht so schnell abbauen wie gesunde Menschen. Dadurch ist der Bilirubinwert im Blut oft phasenweise leicht erhöht.
Mehr wissen
Die Bezeichnung Morbus Meulengracht/Meulengracht-Syndrom geht auf den dänischen Arzt Jens Einar Meulengracht zurück, welcher sich ausführlich mit der Störung befasst hat. Andere Bezeichnungen sind – in Anlehnung an den Erstbeschreiber Nicolas Gilbert – Gilbert-Syndrom oder Morbus Gilbert-Meulengracht.
Mögliches Symptom: Gelbsucht
In den meisten Fällen bemerken Menschen mit dem Meulengracht-Syndrom keine Symptome. Ist der Bilirubinwert jedoch erhöht, können schubweise Beschwerden auftreten. Nicht selten ist das zum ersten Mal während der Pubertät der Fall, da sich die Geschlechtshormone auf den Bilirubinstoffwechsel auswirken können.
Typisches Symptom ist dann eine Gelbsucht: Das Augenweiß und später auch die Haut färben sich gelb. Denn wenn der Körper das gelb-bräunliche Bilirubin nicht schnell genug abbauen kann, lagert es sich im Gewebe ab. Fachleute sprechen bei einer solchen Gelbfärbung von einem Ikterus.
Dieses Symptom mag bedrohlich erscheinen, ist jedoch harmlos und bildet sich von allein wieder zurück – zumindest, wenn tatsächlich Morbus Meulengracht dahintersteckt. Denn Gelbsucht kann auch im Rahmen anderer, teils ernster Erkrankungen auftreten. Daher ist es wichtig, Anzeichen einer Gelbsucht stets ärztlich abklären zu lassen.
Weitere Symptome von Morbus Meulengracht, die im Zusammenhang mit der Gelbsucht entstehen, sind etwa:
- Müdigkeit
- verringerte Konzentration
- depressive Verstimmung
- leichte Bauchschmerzen
- Übelkeit
- verminderter Antrieb
Wichtige Information
Symptome wie Gelbsucht, Bauchschmerzen oder andere Beschwerden können zahlreiche Ursachen haben. Dazu zählen insbesondere Erkrankungen der Leber und Gallenwege. Wichtig ist daher eine Untersuchung bei der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt.
Ein Schub kann durch bestimmte Faktoren begünstigt werden, die ebenfalls den Bilirubinspiegel ansteigen lassen. Dazu zählen zum Beispiel:
- Fasten oder längeres Hungern
- Flüssigkeitsmangel
- Infekte
- Stress
- zu wenig Schlaf
- bestimmte Medikamente
- intensiver Alkoholkonsum
- Menstruationsblutung, möglicherweise auch eine Schwangerschaft
Diese Faktoren können auch unabhängig von Morbus Meulengracht zu Symptomen wie Müdigkeit oder leichten Magen-Darm-Beschwerden führen. Daher ist nicht immer klar, inwieweit Beschwerden tatsächlich auf das Meulengracht-Syndrom zurückzuführen sind.
Ist Morbus Meulengracht gefährlich?
Nein. Menschen mit Meulengracht-Syndrom müssen keine Organschäden befürchten und haben keine niedrigere Lebenserwartung. Im Gegenteil: Es gibt Hinweise darauf, dass die Lebenserwartung leicht erhöht ist und das Risiko für bestimmte Erkrankungen niedriger ist.
Möglicherweise haben Personen mit Morbus Meulengracht ein erhöhtes Risiko für bestimmte Gallensteine (Bilirubinsteine). Zudem baut der Körper einige Medikamente langsamer ab als normal. Das gilt insbesondere für den Wirkstoff Atazanavir, mit dem Personen mit HIV behandelt werden, und Irinocetan, das in der Krebsmedizin zum Einsatz kommt. Diese Besonderheit müssen Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung berücksichtigen.
Meulengracht-Syndrom und Paracetamol
Auch Paracetamol wird über ähnliche Stoffwechselvorgänge verarbeitet wie Bilirubin. Kurzfristig und in therapeutischen Dosen eingenommen sind jedoch bei Personen mit Morbus Meulengracht keine Probleme zu erwarten – so die Ansicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. In Fachinformationen von Paracematol wird allerdings vorsichtshalber darauf hingewiesen, dass Personen mit Morbus Meulengracht den Wirkstoff nur in geringer Dosis und/oder nach ärztlicher Rücksprache einnehmen sollten.
Gefährlich werden kann das Meulengracht-Syndrom nur indirekt, wenn dadurch andere weitere Erkrankungen übersehen werden. Daher ist es wichtig, Symptome ärztlich abklären zu lassen.
Mögliche Symptome: Wann zum Arzt?
Gelbsucht und andere Symptome wie etwa Bauchschmerzen sind kein Beweis für das Meulengracht-Syndrom. Personen, die diese Diagnose bislang nicht erhalten haben, sollten daher in jedem Fall ärztlichen Rat suchen.
Menschen, die nachweislich das Meulengracht-Syndrom haben, sollten bei Symptomen im Zweifel ebenfalls die Ärztin oder den Arzt aufsuchen. Denn hinter Beschwerden können sich auch andere, mitunter ernste Erkrankungen verbergen. Das gilt insbesondere bei weiteren Symptomen wie:
- Juckreiz
- starkem, ungewolltem Gewichtsverlust
- schwerer Erschöpfung
- Depressionen
Schon gewusst?
Eine Gelbsucht geht häufig mit Juckreiz einher – für Morbus Meulengracht ist sie jedoch untypisch. Wahrscheinlicher ist dann eine andere Ursache.
Typisch für Morbus Meulengracht ist, dass einzig der Bilirubinspiegel im Blut erhöht ist. Andere Blutwerte sind hingegen im Normbereich – und auch weitere Untersuchungen, wie etwa ein Ultraschall der Leber, sind unauffällig. Um Gewissheit zu haben, kann eine molekulargenetische Analyse sinnvoll sein.