Den Tränen nah bedankte sich der neue Vorsitzende, 66 Jahre alt, gebürtig aus dem sauerländischen Brilon, für „das starke Mandat.“ Auf dem Parteitag gab Merz die Richtung vor, die er einschlagen will: „Kraftvolle Opposition im Bund“ müsse die CDU sein, die nächsten Landtagswahlen gewinnen und eigene Ideen entwickeln, die in ein neues Grundsatzprogramm münden, eines, dass wie 1978 in der Opposition den Weg zurück an die Macht ebnete.
Die Partei dürfe nicht mehr streiten oder „in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen“, ansonsten werde der Weg zurück zur Verantwortung im Bund „möglicherweise sehr lang“. Er schwor die Partei darauf ein, dass sich eine Niederlage wie jene bei der Bundestagswahl 2021 nicht wiederhole. „Mut und Fröhlichkeit“, empfahl er den Mitgliedern. Die Menschen sollten merken, „dass wir Freude an unserer Arbeit haben“. Dann würde die Union auch wieder gewählt.
Ein neues Programm braucht die Partei, und Merz breitete direkt einen Plan aus. „Wir sind liberal und offen, sozial und bewahrend zugleich. Das ist im besten Sinne konservativ“, formulierte er.
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Den Sozialpolitikern reichte Merz die Hand. So sei „das Soziale konstitutiver Bestandteil der Marktwirtschaft“ und nicht nur der „Reparaturbetrieb des Kapitalismus“. Er erinnerte an ein zentrales, noch nicht eingelöstes Versprechen der katholische Soziallehre: „Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.“ Freiheit, Verantwortung, der Schutz der Familie und Chancen für Kinder seien für ihn wichtig. Er sprach vom „aktivierenden Sozialstaat“.
Ein neues Programm, dass die Flügel der Partei wieder versöhnt, ist eine der großen Aufgaben. Der Wirtschaftsjurist Merz, der selbst aus einer Juristenfamilie stammt und zwei Kinder und fünf Enkelkinder hat, muss aber auch strukturelle Probleme lösen. Nach 16 Jahren unter einer Regierungschefin Angela Merkel ist die Partei inhaltlich ausgelaugt, doch nicht nur das: Die Strukturdaten zeigen, wie tief die Probleme der Partei und ihren Gliederungen liegen.
CDU kämpft mit Mitgliederschwund und Männerüberschuss
Gehörten mit der Wiedervereinigung 1990 quick 800.000 Menschen der CDU an, so sind es heute nur noch 384.204 Mitglieder (Ende 2020). Von ihnen sind 73,4 Prozent männlich und nur 26,6 Prozent weiblich. Das Durchschnittsalter beträgt 60,8 Jahre, dass der Neumitglieder stattliche 43 Jahre. Auch unter ihnen sind unwesentlich mehr Frauen: 28,8 Prozent. Die Partei ist alles andere als ein Querschnitt der Gesellschaft, auch nicht der bürgerlichen Mitte.
Isabelle Borucki, Parteienforscherin an der Universität Siegen, nennt als Gründe „zu wenig Initiative und Engagement in Ansprachen und Angeboten gerade für Frauen“. So seien Ortsvereinsstammtische unattraktiv für jüngere Mütter. Allerdings sei es für alle Parteien schwierig, mit ihren Mitgliedern Spiegel der Gesellschaft zu sein.
Dies sei zwar nicht zwingend nötig, denn „auch Männer können Frauen repräsentieren und umgekehrt. Um die Partei voran zu bringen, wäre es aber unter Umständen hilfreich, mehr Frauen, mehr Jüngere und überhaupt diversere Personen einzubinden.“
„Jünger, weiblicher, digitaler“, will die Partei werden. Der als konservativ und wirtschaftsliberal geltende Merz muss den Weg ebnen, den schon Merkel und Kramp-Karrenbauer vergeblich eingeschlagen haben.
Kurzfristig aber gilt es für ihn, Landtagswahlen zu gewinnen. Mit ihnen entscheidet sich, ob die CDU noch junge Ministerpräsidenten stellt. Und ob sie wenigstens im im Bundesrat noch eine gewichtige Stimme hat, um die Politik der Ampel-Koalition zu beeinflussen. Insgesamt geht es um 19 der 69 Stimmen im Bundesrat.
Wichtige Landtagswahlen in wenigen Wochen
Im März stellt sich Tobias Hans im Saarland zur Wahl, Anfang Mai dann Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Beide liegen in den Umfragen hinten – was allerdings vor fünf Jahren ebenso battle.
Ende Mai dann steht die Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ins Haus. Hier muss sich Hendrik Wüst behaupten, der das Amt des Ministerpräsidenten sowie den Landesvorsitz im Oktober von Armin Laschet übernommen hatte. Es könnte die vermutlich kürzeste Amtszeit eines Ministerpräsidenten sein.
Im Herbst folgen die Wahlen in Niedersachsen, dort regiert die CDU als Juniorpartnerin mit der SPD. Verlöre die Union überall ihre Regierungsbeteiligung, dann hätte sie über die Länderkammer nur noch Einfluss auf 23 Stimmen – ein gravierender Einschnitt, da zahlreiche Gesetze auch durch den Bundesrat müssen.
„Die Landtagswahlen sind sehr, sehr wichtig für uns“, sagte Parteivize Silvia Breher. „Wir werden alles geben, um für positiven Rückenwind aus Berlin zu sorgen.“ Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Merz in den ersten Wochen seiner Amtszeit.
NRW-Landeschef Wüst fordert deutlich: „Keine Flügelkämpfe, wir müssen eine fortschrittliche Partei der Mitte sein“. Und sein Landesparteifreund, der Vize-Chef des Arbeitnehmerflügels Dennis Radtke sagte dem Handelsblatt: „Das Wichtigste ist, zunächst Ruhe und Ordnung für die Wahlen zu bringen.“ Radtke sitzt auch im Europaparlament. Die Wahlen zu gewinnen solle „erstmal der Schwerpunkt sein, alles andere hat dahinter zurückzustehen“.
Radtke hatte zuletzt vor den „Merz-Ultras“ in der Partei sowie einem rein wirtschaftsliberalen Kurs gewarnt, vielmehr mahnte er einen sozialpolitischen Kurs an. Dies hatte innerparteilich für Unruhe gesorgt. Auch Axel Knoerig, neuer Chef der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fordert: „Wir müssen wieder erkennbar der Taktgeber für eine gute Arbeits- und Sozialpolitik für die Menschen werden.“
Die Frage der Fraktionsführung ist noch ungeklärt
Die inhaltlichen Fragen soll der neue stellvertretende Parteichef und Merz-Vertraute Carsten Linnemann als Leiter der Grundsatzprogrammkommission bündeln und versöhnen. Die Erwartungen sind groß: „Wir sollten die drei Wurzeln, die wir haben, auch in unserem Grundsatzprogramm zusammenführen, damit jeder eine Heimat in unserer Volkspartei findet und wir dann geschlossen und entschlossen noch vorne kommen“, sagte das neue Präsidiumsmitglied Ines Claus, Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag.
Ende Januar verkündet die CDU offiziell das Ergebnis der Wahlen auf dem digitalen Bundesparteitag. Danach, so heißt es, kläre sich ganz schnell eine ebenso entscheidende Frage für Parteichef Merz: Wer führt die Fraktion im Bundestag? Merz hatte immer erklärt, in der Regierung gehörten Partei und Kanzleramt in eine Hand, in der Opposition Partei und Fraktionsvorsitz. Ralph Brinkhaus will aber nicht kampflos aufgeben.
Brinkhaus lobbyiert seit Wochen für sich und hofft auf die Schützenhilfe der CSU. Als die Fraktion Stellen und Räume angesichts der verlorenen Bundestagswahl einsparen musste, kürzte Brinkhaus nicht bei der CSU, wie in der Fraktion festgestellt wird. Zugleich wird darauf verwiesen, dass nicht die Landesgruppe entscheide, sondern CSU-Chef Markus Söder.
Merz und Söder haben sich verabredet, wollen eng zusammenarbeiten, wollen jede Woche mit der Fraktionsspitze beraten, auch die Parteipräsidien sollen sich regelmäßig treffen. „Wir haben vieles geklärt“, sagte Merz nach der versöhnlichen Rede Söders auf dem Parteitag. „Wir richten jetzt den Blick nach vorn. Wir werden zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass wir zu guter Stärke zurückfinden.“
Am 2. Februar wird Merz auf einem der ersten öffentlichen Termine die CSU-Landesgruppe bei ihrer Klausur besuchen. Es könnte der Tag sein, an dem sich die Frage des Fraktionsvorsitzes klärt. Dass er ein geeigneter Oppositionsführer wäre, belegte Merz in seiner Antrittsrede. Er attackierte gleich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und warf ihm mangelnde Führung vor: In der Pandemie, in der Ukrainekrise, angesichts der Inflationssorgen der Menschen. „Wir bekennen uns zu politischer Führung“, sagte Merz.
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