Paris Mit einem ehrgeizigen Aktionsplan will Renault-Chef Luca de Meo den angeschlagenen französischen Autobauer aus der Krise führen: „Wir machen sehr, sehr große Fortschritte“, sagte der 54-Jährige kürzlich bei einer Präsentation. Dem Konzern gelinge gerade der „schnellste Turnaround in der jüngeren Automobilgeschichte“.
Die Sanierungsziele würden übererfüllt, die Neuausrichtung auf Elektromobilität beschleunigt. Bis 2030 will Renault in Europa ausschließlich Elektroautos verkaufen – bisher sollten es nur 90 Prozent sein.
Mehr Tempo ist die Reaktion auf eine kritische Lage. Mit dem verschärften Elektro-Plan gibt Renault ein Sign, das Hersteller anderer Marken schon längst gemacht haben. Möglichst kurz soll der teure Übergang vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb sein.
Denn das Kerngeschäft schwächelt schon heute: Wie das Unternehmen am Montag bekannt gab, verringerte sich der Absatz der Gruppe, zu der auch Dacia und Alpine gehören, 2021 um 4,5 Prozent auf rund 2,7 Millionen Fahrzeuge. Die Kernmarke Renault verkaufte knapp 1,7 Millionen Fahrzeuge, ein Minus von 5,3 Prozent.
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Als de Meo vor 18 Monaten die Führung des Unternehmens übernahm, kämpfte Renault bereits gegen die Pleite. Der neue Vorstandsvorsitzende entwarf ein Zukunftsprogramm mit dem Titel „Renaulution“, das knallharte Kostensenkungen mit der Ausrichtung auf eine grünere und höherpreisige Produktpalette kombiniert.
Mittelfristig soll die Traditionsfirma zu einem softwaregetriebenen Technologiekonzern werden. Kann die Wette aufgehen? Französische Branchenkenner nennen de Meo jedenfalls den „CEO der letzten Hoffnung“.
Für den sinkenden Absatz machen die Franzosen das schwierige Marktumfeld in der Pandemie und den Chipmangel in der Autoproduktion verantwortlich. In zwei Bereichen, die für die neue Strategie unter de Meo stehen, sieht sich der ehemalige VW-Supervisor auf dem richtigen Weg: Renault konnte die Verkäufe von Elektro- und Hybridautos erhöhen und seinen Absatz in rentableren Segmenten stärken.
Der Zoe-Vorsprung ist verspielt
Doch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zweifelt, dass die Rettung auf diesem Weg gelingen kann. Die Pläne des Renault-Cooks seien „mehr Advertising als ein großes Programm“, sagt er. „Aber was soll er auch anderes machen?“
Dudenhöffer weist darauf hin, dass sich gerade alle Autobauer vom Verbrennungsmotor verabschiedeten. Da helfe es auch wenig, dass Renault mit dem Elektromodell Zoe vor zehn Jahren ein Pionier struggle. Diesen Vorsprung habe das Unternehmen verspielt – und müsse sich nun aus einer Place der Schwäche mit großen Wettbewerbern wie Stellantis messen.
Auch den neuen Fokus auf höherklassige Fahrzeugsegmente sieht Dudenhöffer skeptisch. Den Marken der Renault-Gruppe fehle es hier einfach an „Substanz“, sagt der Experte vom Middle for Automotive Analysis an der Universität Duisburg-Essen. Seine Prognose: „Es dürfte sehr schwer werden in diesem Überlebenskampf.“
Jahrelang hatte Renault in der Allianz mit dem japanischen Autokonzern Nissan auf Masse gesetzt, für diese Ausrichtung stand der frühere Chef Carlos Ghosn. Dieser hatte mit seiner Strategie zunächst Erfolg, der knallharte Sanierer machte Renault-Nissan im Jahr 2017 zum nach Verkäufen größten Autohersteller der Welt. Doch die geringen Margen erwiesen sich spätestens beim Einbruch des Automarkts in der Coronakrise als Drawback.
In den Abwärtsstrudel geriet Renault aber schon vorher. Die Konflikte in der Allianz mit Nissan traten immer offener zutage. Den Höhepunkt erreichten die Turbulenzen, als Ghosn wegen Vorwürfen der Steuerhinterziehung und Untreue in das Visier der japanischen Justiz geriet. Der Chef musste zurücktreten – und setzte sich später unter abenteuerlichen Umständen in einem Instrumentenkoffer aus dem Hausarrest in Tokio in den Libanon ab.
Im Frühsommer 2019 stand kurzzeitig eine Fusion von Renault mit Fiat-Chrysler zur Debatte. Der amerikanisch-italienische Konzern machte dann aber genervt von den Bedingungen des französischen Staates einen Rückzieher. Ein Jahr später in der Pandemie warnte Frankreich Wirtschaftsminister Bruno le Maire: „Renault kämpft ums Überleben.“ Paris stellte einen Notkredit von fünf Milliarden Euro bereit, im Jahr 2020 verzeichnete der Autobauer einen Rekordverlust von acht Milliarden Euro. Mit konkreten Zahlen für 2021 hält sich de Meo bisher zurück, die finanziellen Ergebnisse legt das Unternehmen erst im Februar vor.
Von der „Auferstehung“ zur „Revolution“
De Meo trägt die Verantwortung bei Renault seit Juli 2020. Der Italiener hatte zuvor eine Reihe von Toppositionen im Volkswagen-Konzern inne, zuletzt leitete er quick fünf Jahre lang die Marke Seat. Der Meo entwarf für Renault einen dreistufigen Rettungsplan: In einer Section mit dem Namen „Auferstehung“ soll das Unternehmen mit einem Sparkurs bis Ende 2022 aus den roten Zahlen kommen.
Bis 2025 läuft parallel die Section „Renovierung“, bei der es darum geht, das Gewicht bei der Autoproduktion von Masse auf Profitabilität zu verlagern. Unter anderem plant Renault ein Dutzend neue Elektromodelle, vor allem im Bereich der Kompakt- und Mittelklasse. Ab 2025 schwebt de Meo die „Revolution“ vor: Der Wandel „vom Autokonzern, der mit Technologie arbeitet, zu einem Technologiekonzern, der mit Autos arbeitet“.
Ende vergangener Woche zog de Meo im „Technocentre“ des Unternehmens im Pariser Umland eine erste Bilanz des ambitionierten Programms: Das Ziel der Reduktion der Fixkosten um zwei Milliarden Euro habe die Gruppe im vergangenen Oktober erfüllt. Damit liege man „trotz heftiger Gegenwinde“ wie der Chipkrise ein Jahr vor dem Zeitplan. Wegen der Lieferprobleme bei Elektronikbauteilen musste Renault auf den Bau von rund 500.000 Autos verzichten.
De Meo rechnet damit, dass der Chipmangel die Geschäfte auch in diesem Jahr belasten werde. Grundsätzlich gab sich der Renault-Chef aber sehr optimistisch: Die Verkaufspreise seien in den vergangenen zwölf Monaten im Schnitt um sechs bis sieben Prozent erhöht worden.
Das liegt auch am Chipmangel: Das knappere Angebot an Neuwagen führt zu höheren Preisen im Autohaus. Zugleich habe man die Entwicklungskosten für neue Modelle um 40 Prozent senken können. Das Unternehmen arbeite gegenwärtig an seiner „wettbewerbsfähigsten Produktpalette seit mindestens 30 Jahren“.
Bei der vernetzten Mobilität setzt der Renault-Chef seine Hoffnungen auf Luc Julia, der als Vater des Sprachassistenten Siri von Apple gilt. Seit dem Frühjahr 2021 ist der Experte für Künstliche Intelligenz der Digitalchef des Autobauers. Bis 2030 will die Gruppe mindestens ein Fünftel des Umsatzes mit Mobilitätsdiensten, Daten und Energiehandel erzielen.
In den kommenden Wochen kommt der Mégane E-Tech auf den Markt, der erste große Verkaufstest unter der neuen Strategie von de Meo. Hergestellt wird das Modell im nordfranzösischen Douai. Quick eine halbe Milliarde Euro hat Renault bereits in das Werk investiert, das zusammen mit zwei weiteren Standorten in der Area zum Herzstück der Produktion von Elektroautos werden soll. Das französische Unternehmen spricht stolz von seiner „ElectriCity“, zu der auch eine Gigafactory des chinesischen Batterieherstellers Envision AESC gehören soll.
Anleger glauben noch nicht an die Wende
„Es wurde viel über die Ansiedlung von Tesla bei Berlin gesprochen“, sagt de Meo. Das Industriezentrum für Elektromobilität, das Renault in Nordfrankreich aircraft, stehe dem aber in nichts nach. Selbstbewusst sagt er: „Wir wollen in der Champions League spielen.“
Die Anleger scheinen allerdings noch nicht so recht an die Wiederauferstehung von Renault zu glauben. Die Marktkapitalisierung der Franzosen liegt bei rund zehn Milliarden Euro. Tesla, das im vergangenen Jahr nicht einmal halb so viele Autos wie die Renault-Gruppe verkaufte, ist an der Börse ungefähr das Hundertfache wert.
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