Berlin Die Virusvariante Omikron treibt die Coronazahlen in Deutschland weiter steil nach oben. In den Krankenhäusern macht sich das aber bisher kaum bemerkbar. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten sinkt weiter. Der designierte Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, sieht derzeit keinen Grund, die Coronaeinschränkungen zu verschärfen.
Schon in der vierten Welle habe es den Ruf nach einem Lockdown gegeben, doch sei es im Dezember gelungen, die Welle mit verhältnismäßigen Maßnahmen zu brechen. „Deswegen sehe ich derzeit keinen Grund, die Maßnahmen weiter zu verschärfen“, sagte Djir-Sarai dem Handelsblatt. „Mit der permanenten Forderung nach maximaler Verschärfung riskieren wir, die Akzeptanz in der Bevölkerung vollends zu verlieren.“
In der Debatte um eine allgemeine Impfpflicht empfiehlt der FDP-Politiker „derzeit Zurückhaltung“. Die Sachlage ändere sich bei diesem Virus so schnell, dass Entscheidungen enorm schwierig seien. Djir-Sarai will sich mit seiner Entscheidung bis zur Abstimmung im März Zeit lassen. „Es gibt Gründe für und gegen die Impfpflicht – und ich werde mir die nötige Zeit lassen, abzuwägen“, sagte er.
Mit Blick auf die Verkehrswende betonte der künftige FDP-Generalsekretär, dass sich die Place der Liberalen nicht geändert habe. Er reagierte damit auf Äußerungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der vom Kauf eines neuen Autos mit Verbrennungsmotor abgeraten und die Effizienz von E-Autos herausgestellt hatte.
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„Volker Wissing hat die europäische Debatte dargestellt und ausgeführt, dass ein Schwerpunkt auf die Elektromobilität gelegt wird“, sagte Djir-Sarai. „Zugleich hat er aber auch sehr klar betont, dass er weiterhin auf Technologieoffenheit setzt. Insofern hat die FDP ihre Place in dieser Frage überhaupt nicht verändert.“
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Djir-Sarai, die FDP ist in der Frage der allgemeinen Impfpflicht gespalten. Werden Sie dafür stimmen?
Ich bin noch unentschieden und finde es intestine, dass es eine Bundestagsdebatte ohne Fraktionsdisziplin geben wird. Ich werde mir die Gruppenanträge anschauen und eine Entscheidung treffen.
Was lässt Sie in der Frage zweifeln?
Im Sommer hätte ich mich ganz klar gegen die allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Allerdings sehe ich auch, wie sich die Rahmenbedingungen verändern. Im Sommer ahnte ich nicht, dass es eine Delta- oder Omikron-Welle geben würde. Die Sachlage ändert sich bei diesem Virus so schnell, dass Entscheidungen enorm schwierig sind.
Bis wann wollen Sie sich Zeit lassen?
Bis zur Abstimmung im März. Es gibt Gründe für und gegen die Impfpflicht – und ich werde mir die nötige Zeit lassen, abzuwägen.
Die Ethikrats-Vorsitzende hat sich wegen der Omikron-Variante zuletzt zurückhaltend geäußert, die WHO sieht eine Impfpflicht nur als allerletzte Möglichkeit. Halten Sie dann einen so dramatischen Schritt für angemessen?
Deswegen bin ich sehr vorsichtig mit meinen Äußerungen. Als Freie Demokraten treten wir von Beginn der Pandemie an dafür ein, den Schutz der Gesundheit mit möglichst viel Freiheit zu verbinden. Dabei müssen wir die aktuelle Lage immer neu bewerten. Deswegen empfehle ich derzeit Zurückhaltung.
Zurückhaltung gibt es zumindest in den Reihen der FDP nicht zu diesem Thema, die sich mit einem Antrag sehr früh gegen die Impfpflicht ausgesprochen hat. Ist Ihre Partei für die Hängepartie verantwortlich, weil die Ampel keine eigene Mehrheit hat?
Das spielt für mich keine Rolle. Die Impfpflicht ist keine parteipolitische Debatte, da sie von der gesamten Gesellschaft geführt wird. Wenn die Debatte mit Fraktionsdisziplin geführt würde, wäre das ein fatales Sign an die Bevölkerung – nämlich, dass bei einem so wichtigen Thema eine Entscheidung von oben herab vorgegeben wird. Deswegen muss der Bundestag im Fokus der Debatte stehen. Wir können hier eine Sternstunde des Parlaments erleben.
Die Ampelregierung hatte sich das Ziel gesetzt, bis Ende Januar eine Impfquote von 80 Prozent zu erreichen. Ist das noch machbar?
Klar ist doch, wir müssen alles dafür tun, die Impfquoten zu erhöhen und die Pandemie gemeinsam zu bekämpfen. Regionale Unterschiede zeigen, dass wir noch besser werden können. Wir müssen von erfolgreichen Beispielen lernen, etwa wenn es darum geht, die Impfungen niedrigschwellig möglichst vor Ort anzubieten.
In der kommenden Woche findet die nächste Ministerpräsidentenkonferenz statt. Müssen die Coronaregeln verschärft werden – oder wie in anderen EU-Ländern gelockert werden?
In der vierten Welle gab es den Ruf nach einem Lockdown. Doch es ist uns gelungen, die Welle im Dezember mit verhältnismäßigen Maßnahmen zu brechen. Deswegen sehe ich derzeit keinen Grund, die Maßnahmen weiter zu verschärfen. Mit der permanenten Forderung nach maximaler Verschärfung riskieren wir, die Akzeptanz in der Bevölkerung vollends zu verlieren.
Gastronomen und der Handel sehen die geltenden Maßnahmen nicht als verhältnismäßig an, sie fürchten um ihre Existenz.
Eingriffe des Staates müssen verhältnismäßig sein, das ist doch völlig klar. Unsere Koalitionspartner wünschen sich allerdings in machen Fragen eine andere Pandemiebekämpfung. Hier kommt es darauf an, Kompromisse zu schließen. Sollten darüber hinaus die Coronahilfen für die Wirtschaft nicht ausreichen, müssen wir uns verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten ganz genau anschauen.
Die FDP hat sich bei der Verkehrswende immer für Technologieoffenheit ausgesprochen und gegen ein Enddatum für den Verbrennungsmotor. Nun rät Bundesverkehrsminister Volker Wissing vom Kauf eines Verbrenners ab. Haben die Liberalen ihre Place geändert und setzen sie nun voll auf Elektro?
Volker Wissing hat die europäische Debatte dargestellt und ausgeführt, dass ein Schwerpunkt auf die Elektromobilität gelegt wird. Zugleich hat er aber auch sehr klar betont, dass er weiterhin auf Technologieoffenheit setzt. Insofern hat die FDP ihre Place in dieser Frage überhaupt nicht verändert.
Wissing hat gesagt, dass der Elektromotor für Autos der effizienteste Antrieb ist.
Der Bundesverkehrsminister hat betont, dass es ihm wichtig ist, dass sein Bereich einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet. In diesem Zusammenhang hat er die Effizienz der E-Autos hervorgehoben. Das ist doch alles vernünftig und richtig – und keine Abkehr von bisherigen Positionen der FDP.
Würden Sie heute noch den Kauf eines Verbrenners empfehlen?
Das halte ich nicht für meine Aufgabe. Ich habe noch nie den Kauf eines bestimmten Autos empfohlen, dabei bleibe ich.
Aus der SPD gibt es Forderungen, die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht mit politischen Fragen wie dem Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze zu verknüpfen. Ist das vernünftig?
Die vorherige Bundesregierung hat bei Nord Stream 2 Fakten geschaffen. Die lassen sich nicht rückgängig machen, damit müssen wir umgehen. Es wundert mich aber schon, wenn behauptet wird, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches Projekt. Das stimmt nicht. Natürlich gibt es eine politische Dimension.
Sollte die Bundesregierung sich anderen Ländern anschließen und die Olympischen Spiele in China boykottieren?
Ich bin nicht Teil der Bundesregierung. Als Parlamentarier price ich all meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag dringend dazu, nicht zu den Spielen nach China zu reisen. Und soweit ich weiß, will auch kein Regierungsmitglied reisen. Das ist aus meiner Sicht richtig.
Herr Djir-Sarai, vielen Dank für das Gespräch.
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