Ein Jahr ist es her, dass Ann-Marie und Danny starben. Der damals 34-jährige Ibrahim A. hatte in einem Regionalzug Fahrgäste mit einem Messer angegriffen. Ein Rückblick.
Ann-Maries Lippen sind in einem beerigen Ton bemalt. Das halblange, blonde Haar umrahmt ihr Gesicht. Mal trägt sie ein elegantes Kleid. Mal einen lässigen Einteiler. Was all die Fotos von ihr, die durch das Internet geistern, gemein haben: Die 17-Jährige lacht ausgelassen oder grinst. Die Mundwinkel sind immer oben. Auch Bilder von ihrem zwei Jahre älteren Partner Danny erwecken ein Gefühl von Lust aufs Leben. Doch das nahm vor einem Jahr ein jähes Ende.
Am 25. Januar 2023 stieg der damals 34-jährige Ibrahim A. in den RE 70, den Regionalexpress von Kiel nach Hamburg. Wenig später begann für mehrere der insgesamt 120 Fahrgäste der Kampf ums Überleben. So auch für Ann-Marie und Danny.
Täter zückt Fleischermesser
Kurz nach der Abfahrt des Zuges von der Haltestelle Neumünster zückte der Täter ein Fleischermesser. Um kurz vor 15 Uhr gingen bei der Leitstelle der Polizei die ersten Notrufe ein.
Der Täter tötete Ann-Marie und Danny und verletzte fünf weitere Menschen, drei von ihnen schwer bis lebensgefährlich. Eine von ihnen nahm sich Monate später das Leben. Einigen der Fahrgäste gelang es schließlich, den Angreifer noch im Zug zu überwältigen. Mehrere Minuten dauerte es, dann traf der erste Streifenwagen in Brokstedt ein.
Viele Menschen trugen an diesem Tag zwar keine körperlichen, dafür aber psychische Verletzungen davon. Unter ihnen Ersthelferinnen und Ersthelfer, Augenzeuginnen und Augenzeugen, Mitschülerinnen und Mitschüler, Hinterbliebene.
Beziehung erst seit wenigen Tagen
Ann-Marie und Danny waren am Tag ihrer Tötung gerade auf dem Weg von der Berufsschule nach Hause. Der 19-Jährige soll eine Ausbildung bei der DB Fahrzeuginstandhaltung Neumünster gemacht haben. Erst seit wenigen Tagen waren er und Ann-Marie ein Paar, viele hätten davon noch nichts gewusst, schrieb die „Bild“ zwei Tage nach der Attacke.
Danny soll versucht haben, Ann-Marie zu beschützen. Er habe sich zwischen sie und den Angreifer geworfen. Der Täter war bewaffnet durch mehrere Waggons gegangen. Einer 22-jährigen Zeugin war er zuvor bereits aufgefallen, weil er „eine Art Dehnübungen machte“, wie sie im Gericht erläuterte. Danach habe er damit begonnen, auf sein erstes Opfer einzustechen. „Messer, Messer, alle raus!“, habe ein 20-jähriger Student durch einen der Waggons gerufen, wie mehrere Medien berichteten.
Danny und Ann-Marie schafften es nicht raus. Mit den Worten „warmherzig, offen, interessiert, hilfsbereit“ beschreibt das „Hamburger Abendblatt“ Ann-Marie nach einem Gespräch mit deren Vater Michael Kyrath. Er wandte sich nach dem Tod seiner Tochter mehrfach an die Medien. Sein Ziel laut dem NDR: Danny und Ann-Marie sollen nicht vergessen werden. Und solch eine Tat dürfe sich nicht wiederholen – dafür müsse auch die Politik sorgen.
Ibrahim A.: Der Täter
Bereits vor der Attacke war bekannt gewesen, dass der 2014 nach Deutschland gekommene, staatenlose Palästinenser von Januar 2015 bis Ende 2020 in NRW gemeldet und in dieser Zeit mehrfach durch Straftaten auffällig geworden war. Es ging unter anderem um Verfahren wegen Bedrohung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl und sexueller Belästigung.
Mehrere Behörden und Hilfsstellen für Wohnungslose hatten Ibrahim A. vor der Tat immer wieder weiterverwiesen. Kritiker werfen den Institutionen ein chaotisches Vorgehen vor. Auch deshalb wird vermutet, der Täter könnte aus Frustration gehandelt haben. Sein Verteidiger begründet die Tat stattdessen mit dem psychischen Zustand seines Mandanten.
Die Hintergründe der Tat ändern nichts am Tod von Ann-Marie und Danny. Was bleibt, ist die Erinnerung. Die Erinnerung, die auch Ann-Maries Vater aufrechterhalten will. Mit Erzählungen über seine warmherzige Tochter. Und ihr Lachen, dass er dem „Abendblatt“ als absolut ansteckend beschrieb und auf Fotos für die Ewigkeit festgehalten ist.