In Deutschland gehen Hunderttausende Menschen gegen Hetze und für die liberale Demokratie auf die Straße. Eine Initiative der Bertelsmann-Stiftung unterstützt die kritische Bürgergesellschaft. Projektchef Dominik Hierlemann erklärt, worum es konkret geht.
Werderscher Markt, gegenüber dem Auswärtigen Amt. Der Berliner Sitz der Bertelsmann-Stiftung. Es herrscht Ruhe in den Räumen, aber die täuscht. Seit Wochen und Monaten wird hier ein Projekt gegen Desinformation und für eine stabile Demokratie vorbereitet. t-online, das das Projekt medial unterstützt, hat den Projektleiter Dominik Hierlemann zum Gespräch getroffen.
t-online: Wieso hängen eine stabile Demokratie und die Bekämpfung von Desinformation zusammen? Man könnte ja auch sagen: Jeder mündige Bürger, jede mündige Bürgerin sollte so viel Erfahrung mit Mediennutzung haben, dass alle wissen, was verlässliche und was trübe Quellen sind?
Dominik Hierlemann: Unsere Demokratie braucht engagierte und informierte Bürgerinnen und Bürger. Heute mehr noch als in vergangenen Jahrzehnten. Aber die Unsicherheit im Umgang mit Desinformation bei vielen Menschen ist groß. Wenn Desinformation allgegenwärtig ist, dann ist der Schritt nicht weit, plötzlich allen und allem zu misstrauen – auch unseren demokratischen Institutionen. Deswegen braucht es mehr Medienkompetenz. Desinformation ist das langsam wirkende Gift der Feinde unserer Demokratie.
Ich lese gerade mit großem Interesse und Gewinn das Buch „Schloss der Schriftsteller“, das von den illustren Korrespondenten der Nürnberger Prozesse handelt. Der Autor weist präzise nach, dass auch diese unverantwortlich viel Propaganda, Vorurteile, schlechte Recherche und literarisch angehauchte Klitterungen verbreitet haben, und zwar in hochseriösen Magazinen und Zeitungen. Gab es Fake News also einfach schon immer? Und was unterscheidet die von heute von denen damals?
Zur Person
Dr. Dominik Hierlemann ist Senior Advisor bei der Bertelsmann Stiftung. Er beschäftigt sich mit deutscher und europäischer Demokratie und hat zahlreiche innovative Beteiligungsprojekte initiiert und moderiert.
Fake News ist ein politischer Kampfbegriff von Donald Trump. Aber ja, gezielte Falschinformationen sind so alt wie die Geschichte der Menschheit. Doch die Bedeutung hat sich markant verändert. Die Schnelligkeit und die technischen Möglichkeiten zur Verbreitung von manipulierten Informationen haben enorm zugenommen. Früher hatte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung die Hoheit darüber, welche Informationen verbreitet werden. Heute kann das im Grunde jede und jeder per Knopfdruck. Mit Künstlicher Intelligenz kann man ganz leicht Fotos und Videos fälschen. Das verunsichert viele. Aber klar ist auch: Die Demokratie kann und darf Lügen nicht einfach verbieten. Die Meinungsfreiheit müssen wir schützen. Wir brauchen aber als Gesellschaft eine Debatte darüber, wie wir mit der Herausforderung von Desinformation umgehen. Auch deswegen haben wir das „Forum gegen Fakes“ initiiert.
Kämpfen Sie da nicht gegen eine Hydra? Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei nach?
Es stimmt, Desinformation schaffen wir nicht so schnell aus der Welt. Was wir jedoch erreichen können, ist eine Sensibilisierung für das Thema und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gefahren. Wenn wir als Bürgerinnen und Bürger besser Bescheid wissen, dann gehen wir auch selbstbewusster damit um. Wenn es wahr ist, dass sich die Demokratie wandelt und weiterentwickelt – und davon bin ich überzeugt –, dann müssen wir auch lernen, einen Umgang mit ihren neuen Herausforderungen zu finden. Wurde die Wasserschlange Hydra in der griechischen Mythologie am Ende nicht von Herakles besiegt? Nicht allein mit dem Schwert, sondern auch mit Feuer. Demokratie schützen heißt immer wieder nach den geeigneten Methoden und Verfahren zu schauen und miteinander im Dialog zu bleiben.
„Wir brauchen zu wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen eine breite Bürgerbeteiligung.“
dominik hierlemann
Einerseits soll das groß angelegte Projekt eine digitale Debatte anstoßen, die auch über das Nachrichtenportal t-online geführt wird. Andererseits soll zudem ein Bürgerrat aus 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gebildet werden, der sich auch Gedanken machen soll, wie die Demokratie gestärkt werden kann. Wie setzt sich dieser Rat zusammen, und wie werden die 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer rekrutiert?
Der Bürgerrat ist ein noch recht junges Gewächs der Demokratie, das sich aber rasch in Europa verbreitet. Wir wollen nun das Prinzip des Bürgerrats erweitern mit einer Online-Beteiligung von interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrats werden nach einem mehrstufigen Verfahren zufällig ausgewählt. Wir nutzen quasi einen Zufallsgenerator für Telefonnummern, rufen die Leute an und fragen, ob sie Interesse haben. Dann schauen wir, dass eine vielfältige Gruppe zusammenkommt. Dafür gibt es klare Kriterien, wie Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Bildungsgrad und Migrationshintergrund. Wer den Raum eines Bürgerrats betritt, soll das Gefühl haben: Ja, so schaut die Bevölkerung in Deutschland aus. So spiegeln sich dann in ihm unterschiedliche Erfahrungen, Meinungen und Perspektiven unserer Gesellschaft zum Thema Desinformation.