Berlin Katrin Göring-Eckardt battle begeistert. Die Idee einer Parlamentspoetin sei ein „toller Vorschlag“, jubelte die Bundestagsvizepräsidentin. Poesie könne dazu beitragen, „einen neuen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen“, schwärmte die Grünenpolitikerin über die Initiative einiger Schriftsteller.
Wenn die Haushaltspolitiker am Mittwoch im Bundestag den Nachtragshaushalt für 2021 beraten, werden sie nicht nur eine 60 Milliarden Euro schwere Klimarücklage auf den Weg bringen. Sie werden der eigenen Koalition nebenbei auch Hunderte neue Stellen genehmigen, nachdem sie schon im Dezember quick 200 neue geschaffen hat. Zuletzt battle in Koalitionskreisen davon die Rede, mit dem Nachtragshaushalt könnten nochmals bis zu 500 Stellen hinzukommen.
Selbst wenn es am Ende etwas weniger sein sollten, wäre die Ampelkoalition auch dann die größte Bundesregierung aller Zeiten: Ob bei der Zahl der Ministerien, der Zahl der parlamentarischen Staatssekretäre, der Zahl der verbeamteten Staatssekretäre oder dem Umfang der Leitungsstäbe in den Ministerien – nie battle der Machtapparat einer Bundesregierung größer. Und noch nie seit der Wiedervereinigung arbeiteten insgesamt so viele Beamte in den Bundesministerien.
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„Der Stellenzuwachs ist nicht primär sachlich begründet, sondern einfach Folge der seit 2015 guten Haushaltslage“, sagt Verwaltungsexperte René Geißler von der TH Wildau. Doch ob all die neuen Stellen zu einer besseren Verwaltung führen, ist fraglich. Ökonomen wie Justus Haucap gehen eher davon aus, dass zu viel Verwaltungspersonal zu mehr Bürokratie führt: „Die wachsende Zahl an Positionen schafft in der Regel zusätzliche Mitwirkungsrechte und -pflichten und Berichtspflichten, die oftmals eher lähmen als beschleunigen.“
Schlechtes Beispiel: die Marine in Singapur
Beschrieben hat diesen Effekt bereits vor Jahrzehnten der britische Kolonialbeamte Cyril Northcote Parkinson. Ein nach ihm benanntes Gesetz besagt, dass Verwaltungsapparate die schlechte Angewohnheit haben, sich aufzublähen. Doch je mehr Personen in einer Behörde zusammensitzen, desto mehr Zeit benötigen sie, um sich selbst zu verwalten, so Parkinson. Als Beispiel führte er die Marine in Singapur an: 1914 arbeiteten dort rund 146.000 Offiziere für die Marine, für die 2000 Beamte zuständig waren. 14 Jahre später gab es quick ein Drittel weniger Schiffsoffiziere, aber 78 Prozent mehr Beamte.
Nicht ganz so stark, aber durchaus üppig bläht sich der Beamtenapparat in den Bundesministerien auf. Arbeiteten 2010 noch rund 17.000 Beamte in den Ressorts des Bundes, werden es im nächsten Jahr mehr als 27.000 sein – ein Zuwachs von 59 Prozent in zwölf Jahren. Und der höchste Stand seit der Wiedervereinigung, wie das Bundesfinanzministerium bereits vor zwei Jahren in einer internen Präsentation vorrechnete.
Die Gründe für den Personalaufwuchs sind vielschichtig. In einigen Bereichen wie der Klimapolitik, der Finanz- oder Geldwäscheaufsicht sind ohne Zweifel mehr Beamte vonnöten, weil die Themen wichtiger oder die Herausforderungen komplexer geworden sind. Allerdings fand gleichzeitig nie ein Personalabbau in den Bereichen der Verwaltung statt, die weniger wichtig sind.
Das hat auch mit dem Beamtenrecht zu tun. Staatsdiener unterhalb der Abteilungsleiterebene können nicht einfach entlassen oder in den Ruhestand geschickt werden. Gleichzeitig sträuben sich Beamte, so erzählen es viele selbst, gegen die Digitalisierung, weil sie damit ihre eigenen Arbeitsplätze gefährden würden. Und anders als in der Wirtschaft hat dieses Beharrungsvermögen mangels ökonomischen Drucks häufig Erfolg.
Allerdings spielen auch parteipolitische Gründe eine Rolle für die Stellenvermehrung. „Oft werden Stellen kurz vor Ablauf der Legislatur besetzt beziehungsweise Leute darauf befördert“, sagt Verwaltungsexperte Geißler. Das ist jene oft zitierte „Operation Abendsonne“, bei der Regierungsparteien kurz vor der nächsten Wahl noch schnell Parteifreunde mit lukrativen Beamtenjobs versorgen – ganz unabhängig von der politischen Färbung. Gleichzeitig gönnt sich jede neue gewählte Bundesregierung traditionell nach Amtsantritt eine Reihe neuer Stellen. „Ich bezweifle, dass dies alles nötig ist, aber das Wachstum der Bürokratie ist nicht neu“, sagt Ökonom Haucap.
Die Ampel macht von diesen bürokratischen Gepflogenheiten besonderen Gebrauch. So hat die neue Regierung mit dem Bundesbauministerium gleich ein ganz neues Ministerium geschaffen. Nun sind es inklusive Kanzleramt 16 Ressorts. Das allein erklärt aber noch nicht, warum die Zahl der parlamentarischen Staatssekretäre unter der Ampelkoalition von 34 auf 37 und die der verbeamteten Staatssekretäre von 31 auf 37 steigt – und damit jeweils auf historische Höchststände.
Neue Posten für Staatssekretäre, mit welcher Begründung auch immer
Ein zentraler Grund dafür: Erstmals seit Jahrzehnten gibt es nicht mehr nur zwei, sondern drei Parteien in Regierungsverantwortung. Und darunter sind mit Grünen und FDP gleich zwei, die schon lange keiner Regierung mehr angehörten. Und die mit entsprechend viel eigenem Private in die neuen Ministerien einreiten.
So hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen neuen Staatssekretär gegönnt, der die Arbeit des Vizekanzleramts koordiniert. Das ist nicht neu. Neu ist aber, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Staatssekretärsposten behalten hat, der in der vergangenen Wahlperiode für den damaligen Vizekanzler Olaf Scholz im Finanzressort das Vizekanzleramt koordinierte. Auch in anderen Ministerien, in denen das Vizekanzleramt einst angesiedelt battle, sind die Spuren bis heute zu besichtigen. Wann immer das Vizekanzleramt weiterzog, die Stellen blieben im alten Haus.
Einen zusätzlichen Staatssekretär erhält auch Verkehrsminister Volker Wissing. Da der FDP-Politiker nicht mehr nur Minister für Verkehr, sondern auch für Digitales ist, wird in seinem Ressort ein neuer Staatssekretärsposten geschaffen, der sich mit dem Thema Mobilitätsdaten beschäftigen soll. Nur ist Wissing gar nicht der starke Digitalminister, wie es ursprünglich mal geplant battle. So verbleiben alle Zuständigkeiten für die wirtschaftspolitischen Aspekte der Digitalisierung im Wirtschaftsministerium. Die neue Staatssekretärsstelle gab es für Wissing trotzdem.
Ebenfalls eine neue Stelle bekommt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die nun auf die Experience dreier Staatssekretäre bauen kann, die im Auswärtigen Amt „Staatsminister“ heißen. Einen dritten Staatsminister wollte einst schon Baerbocks Vorvorgänger Sigmar Gabriel (SPD) installieren. Baerbock hat die Stelle nun durchgedrückt, weil sie die Zuständigkeit für internationale Klimapolitik in ihr Haus geholt hat.
Angeblich besteht ein „unabweisbarer Bedarf“
Dass das Auswärtige Amt dabei eigentlich seit Jahren einen Bedeutungsverlust erlebt, ist offenbar unerheblich. Das Umweltministerium, das die Zuständigkeit für die internationale Klimapolitik verlor, stockte derweil die Zahl der Staatssekretäre von einem auf zwei auf. Begründung hier: Der Verbraucherschutz sei in der Ampelregierung als neue Zuständigkeit hinzugekommen.
Und so bläht sich der Verwaltungsapparat immer mehr auf, allen voran die Leitungsstäbe, in denen Politik koordiniert wird. Schon zwischen 2016 und 2021 stieg die Zahl der Mitarbeiter in den Leitungsstäben nach Berechnungen Geißlers um 20 Prozent. Auswertungen für die Ampel gibt es noch nicht, aber der Pattern setzt sich unübersehbar fort, wie Finanz- und Wirtschaftsministerium zeigen. „Dabei gibt es keinen Automatismus zwischen Stellenzahl und notwendigen Leitungsstellen“, sagt Geißler. Mit anderen Worten: Es könnte auch mehr Indianer geben, ohne dass es gleich auch viel mehr Häuptlinge gibt.
Doch da gerade die Positionen auf der Leitungsebene hierarchisch weit oben in einem Ressort angesiedelt sind, wächst die Zahl der hochdotierten Beamtenstellen der sogenannten „Besoldungsstufe B“. Allein zwischen 2016 und 2021 gab es 19 Prozent mehr solcher hochdotierten Verwaltungsjobs, wie aus Geißlers Berechnungen hervorgeht. Auch dieser Pattern setzt sich bei der Ampel fort: Von den 176 Stellen, die die Ampel im Dezember beschloss, waren allein 41 B-Stellen.
Die Pointe dabei: Die neuen Stellen wurden nachträglich für das Jahr 2021 geschaffen, angeblich weil ein „unabweisbarer Bedarf“ bestand, der nicht bis zur Verkündung des nächsten Bundeshaushalts warten könne, wie es in schönstem Bürokratendeutsch in einem Schreiben Mitte Dezember hieß. Warum aber ein „unabweisbarer Bedarf“ für ein Jahr besteht, das quasi schon abgelaufen battle, das klärte die Bundesregierung in ihrem Schreiben sicherheitshalber nicht auf.
Mehr: Eine Ablehnungsode auf die Bundestagspoetin