Ein Auto ist in München in einen Demonstrationszug gefahren, offenbar ein Anschlag. Ein Terrorismusexperte glaubt, die Veranstaltung hätte besser gesichert werden können.
Vieles ist kurz nach dem mutmaßlichen Anschlag auf eine Verdi-Demonstration in München noch unklar. Der Tatverdächtige ist allerdings gefasst, es gibt bereits erste Erkenntnisse zu ihm, die auf Terror hindeuten. Mehrere Menschen schweben in Lebensgefahr.
Es ist der dritte Anschlag in Deutschland innerhalb von nur zwei Monaten. Nach Magdeburg und Aschaffenburg flammt die Debatte um Sicherheitsvorkehrungen und Abschiebungen erneut auf – denn der mutmaßliche Täter war ein Asylbewerber aus Afghanistan. Der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler sieht im Gespräch mit t-online auch große Versäumnisse bei der Sicherheit und widerspricht Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.
Herr Schindler, es ist der dritte Anschlag innerhalb von zwei Monaten. Was bedeutet diese Häufung der Anschläge für die Sicherheitslage in Deutschland?
Hans-Jakob-Schindler: Die Lage bleibt angespannt. Jeder weitere Anschlag erhöht das Risiko, dass weitere Anschläge folgen. Denn die Leute sehen: Es funktioniert. Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, weil sie nicht wussten, wie ein Anschlag funktioniert, haben in den vergangenen Wochen gezeigt bekommen, dass es machbar ist. Egal, ob mit dem Auto oder mit einem Messer. Messer und Autos sind für den IS schon seit 2017 die effektivsten Anschlagsszenarien. Ein Messerangriff ist nur schwer zu verhindern. Außerdem besitzt jeder ein Küchenmesser. Und mit Autos richtet man mit einem normalen, unauffälligen Verkehrsmittel den maximalen Schaden an. Das ist schlicht am einfachsten.
Der Anschlag hat einen Verdi-Protestzug getroffen, der in der Münchner Innenstadt unterwegs war. Wie bewerten Sie die Sicherheitsvorkehrungen?
Die Demonstration hat nicht im luftleeren Raum stattgefunden, sondern am Tag vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz. Das heißt, München ist ein Hochsicherheitsbereich. Aber ein Auto am Beginn und eines am Ende einer Demonstration sind da zu wenig. Bei anderen Demonstrationen fahren mehrere Mannschaftswagen vornweg und hinterher. Es wird nie gelingen, alles ideal und komplett zu schützen. Aber wieso kann man eine Demonstration in einer Situation nicht besser absichern, in der die Welt nach München schaut? Zumal sie schon seit langer Zeit angemeldet war.
Klingt so, als ob zusätzliche Autos den Fahrer von seiner Tat hätten abhalten können.
Wenn es nur noch darum geht, das Auto von der Demonstration abzuhalten, hat man schon verloren. Man muss besser in der Früherkennung werden und das geht nicht ohne zusätzliche technische Befugnisse, besseres Personal und die richtige Technologie. Dabei geht es auch darum, die sozialen Medien mehr in die Verantwortung zu nehmen, damit sie rechtlich verpflichtet werden, proaktiv auf Gefährder hinzuweisen.
Inwiefern hat sich der mutmaßliche Täter das Ziel der Verdi-Demo bewusst ausgesucht?
Terrorismus ist immer eine Fusion aus Möglichkeiten und Gelegenheiten. Er hatte die Möglichkeit, weil er sich ein Auto besorgt hat, und die Gelegenheit, weil es eine Demonstration gab. Ob die Verdi-Demonstration speziell im Fokus stand, bezweifle ich. Ich vermute vielmehr einen Bezug zur Münchner Sicherheitskonferenz. Das ist wirklich nicht die hohe Kunst der Vorhersagen.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sieht das aber anders. Er hat erklärt, dass man momentan keinen Zusammenhang mit der Sicherheitskonferenz vermutet.
Das ist doch sehr offensichtlich. Natürlich hat die Verdi-Demonstration nichts direkt mit der Sicherheitskonferenz zu tun, aber sie findet zufällig parallel statt. Den Terroristen geht es um Berichterstattung und die erreicht man insbesondere, wenn Medien aus der ganzen Welt da sind und ein sehr neuralgisches Ereignis stattfindet.

Der mutmaßliche Täter hat vor der Tat offenbar einen islamistischen Post abgesetzt. Was schließen Sie daraus?