Berlin Ein CO2-Grenzausgleich für Stahl würde die metallverarbeitende Industrie belasten und die Gefahr von Unternehmensverlagerungen ins außereuropäische Ausland erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), die dem Handelsblatt vorliegt. In Auftrag gegeben hat die Studie der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung.
Der CO2-Grenzausgleich gehört zu den Instrumenten zur Umsetzung des „Fit for 55“-Pakets der EU-Kommission. Ziel ist es, die CO2-Emissionen der EU bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, muss insbesondere die Grundstoffindustrie massive Investitionen in neue Anlagen tätigen und zugleich höhere Kosten für den laufenden Betrieb der neuen Anlagen tragen.
In der Summe führt das dazu, dass beispielsweise in Europa gefertigter Stahl künftig deutlich teurer sein wird als Stahl aus anderen Weltregionen, in denen keine oder weniger ambitionierte Klimaschutzauflagen gelten. Schon heute bürdet der Klimaschutz den europäischen Stahlherstellern durch den Emissionshandel Kosten auf, die aber zum Teil durch die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten ausgeglichen werden.
Damit Stahl aus Europa dennoch wettbewerbsfähig bleibt, sollen Stahlimporte aus anderen Weltregionen nach den Vorstellungen der Kommission ab 2023 mit einem CO2-Grenzausgleich belegt werden. Der Ausgleich soll der Höhe der CO2-Kosten entsprechen, die europäische Hersteller zu tragen haben. Auch für Zement, Aluminium und einige Produkte der Düngemittelindustrie erwägt die EU-Kommission einen CO2-Grenzausgleich.
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Doch während der Grenzausgleich die Kostennachteile der direkt betroffenen Branchen in Europa ausgleichen kann, würden die weiterverarbeitenden Branchen in Europa vor gravierende Probleme gestellt. Stahl, der in Europa verarbeitet wird, wäre teurer als Stahl in anderen Weltregionen.
„Höhere Stahlpreise betreffen zahlreiche Kundenbranchen, allen voran die Metallverarbeitung, die Hersteller elektrischer Ausrüstungen sowie Maschinen- und Fahrzeugbau“, heißt es in der IW-Studie. Die zehn am stärksten betroffenen Branchen stehen laut IW für ein Fünftel der Wirtschaftsleistung und ein Sechstel der Beschäftigung in Deutschland.
Auf europäischer Ebene erwirtschaften die zehn Branchen den Angaben zufolge mit mehr als 30 Millionen Beschäftigten quick zwei Billionen Euro Wertschöpfung und damit rund ein Sechstel der gesamten Wirtschaftsleistung der EU.
Indem die EU-Kommission beim Schutz der Grundstoffindustrien wie der Stahlerzeugung stehen bleibt, entzieht sie den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen wie der stahlverarbeitenden Industrie die Wettbewerbsfähigkeit. WSM-Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer
Für die Kunden der Stahlindustrie, der Aluminiumindustrie und weiterer Grundstoffproduzenten bedeute der CO2-Grenzausgleich „vor allem höhere Preise“, schreibt das IW. Wenn der CO2-Preis auf Stahl voll durchschlage, würden sich die Kosten der metallverarbeitenden Unternehmen in Deutschland laut IW um zwei Milliarden Euro erhöhen, was 3,5 Prozent der Wertschöpfung entspräche.
Das IW verweist auf die Einführung von Zöllen in den USA, die ähnliche Effekte gehabt hätten: „Durch die Einführung der US-Zölle konnten zwar Arbeitsplätze in der US-Stahlindustrie erhalten werden, in den nachgelagerten stahlverarbeitenden Branchen gingen jedoch 2002 bis zu 200.000 und 2018 nach ersten Schätzungen etwa 75.000 Arbeitsplätze verloren.“
EU-Kommission reicht das Downside an die verarbeitende Industrie weiter
Das Resümee des IW fällt entsprechend ernüchternd aus: „Der Grenzausgleichsmechanismus ist in der von der EU-Kommission geplanten Ausgestaltung nicht dazu geeignet, den bisher geltenden Schutz vor Carbon-Leakage-Risiken aufrechtzuerhalten“, schreiben die Autoren. Carbon Leakage bezeichnet die Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland aufgrund von CO2-Kosten.
Auf Unternehmen, die in Europa Stahl und andere Grundstoffe verarbeiteten, kämen höhere Kosten zu, die ihre außereuropäischen Konkurrenten nicht in gleichem Maße schultern müssten. Daher erhöhe sich für nachgelagerte Industrien die Wahrscheinlichkeit für Verlagerungen ins nicht-europäische Ausland, warnen die Autoren.
„Indem die EU-Kommission beim Schutz der Grundstoffindustrien wie der Stahlerzeugung stehen bleibt, entzieht sie den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen wie der stahlverarbeitenden Industrie die Wettbewerbsfähigkeit“, kritisiert Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung (WSM). Für die stahlverarbeitende Industrie in Europa werde der Stahl teurer, während die Konkurrenz aus Staaten außerhalb der EU die Belastungen nicht tragen müsse. „Das Carbon-Leakage-Risiko wird additionally eine Stufe weiter auf die Verarbeiter verlagert“, sagte Vietmeyer.
„Die stahlverarbeitenden Unternehmen in der EU würden die Wettbewerbsverzerrung in zweierlei Hinsicht deutlich spüren: Konkurrierende Importprodukte, wie etwa tiefgezogene Blechteile aus Asien, kommen ohne Grenzausgleichsabgaben auf die europäischen Märkte und hätten dadurch unfaire Wettbewerbsvorteile. Und die eigenen Produkte müssen auf den Exportmärkten außerhalb der EU mit Erzeugnissen konkurrieren, die ohne Grenzausgleichsabgabe gefertigt wurden“, sagte Vietmeyer.
Deshalb müsse sich der Grenzausgleichsmechanismus auf die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Endverbraucher beziehen. „Das könnte durch ein der Umsatzsteuer vergleichbares System geschehen, bei dem die Unternehmer in den Wertschöpfungsketten durch Belastung beim Kauf und Entlastung beim Verkauf im Ergebnis unbelastet bleiben“, empfiehlt er.
Die in der Studie skizzierten Risiken sehen auch andere Experten. So hatte beispielsweise die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer im Juli veröffentlichten Untersuchung auf die Gefahren für die verarbeitende Industrie hingewiesen.
Auch die Stahlhersteller selbst sind mit dem CO2-Grenzausgleich nicht glücklich. Sie wollen unbedingt die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten im Emissionshandel beibehalten. Die Unternehmen bemängeln, ein CO2-Grenzausgleich biete für den Export von Stahl aus Europa in andere Weltregionen keinen hinreichenden Schutz. Sie warnen außerdem davor, ein CO2-Grenzausgleich könne einen Handelskrieg provozieren.