Die Europäische Zentralbank (EZB) ist gefordert wie selten, für ihre Politik zu werben. Angesichts der stark steigenden Inflationsraten muss sie überzeugend darlegen, warum sie an negativen Leitzinsen und massiven Anleihekäufen festhalten will.
In ihrer letzten Pressekonferenz ist ihr das nur bedingt gelungen. Während allenthalben die Besorgnis vor zu hoher Inflation vorherrscht, sagte Präsidentin Christine Lagarde, die für 2024 erwartete Inflationsrate sei mit 1,8 Prozent immer noch zu niedrig, weil sie unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent liege. Das mache eine expansive Geldpolitik notwendig.
Damit bewegt sich die EZB auf dünnem Eis. Kann man in Anbetracht der hohen Unsicherheit solcher Prognosen mit einer Zielabweichung von 0,2 Prozentpunkten tatsächlich Negativzinsen und umfangreiche Anleihekäufe rechtfertigen, die unvermeidlich mit real- und finanzwirtschaftlichen Nebenwirkungen verbunden sind?
Um ans rettende Ufer zu kommen, benötigt die EZB ein anderes Narrativ. Es lässt sich leicht finden, wenn man die Annahmen der EZB-Prognose in den Vordergrund stellt. Grundlage der Inflationsprognose sind Zinsannahmen, die aus den Erwartungen der Marktteilnehmer abgeleitet werden. Konkret wird unterstellt, dass die kurzfristigen Zinssätze bis 2023 negativ bleiben und auch die langfristigen Zinssätze kaum steigen.
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Die EZB sollte additionally ihre expansive Politik nicht damit begründen, dass die Inflation 2024 voraussichtlich einen Tick zu niedrig ist. Vielmehr sollte sie sie damit rechtfertigen, dass bei deutlich höheren Zinsen das Inflationsziel von zwei Prozent mittelfristig erheblich unterschritten würde.
Damit würde sie auch klarmachen, dass selbst im Fall, dass die Mittelfristprognose auf zwei Prozent steigen sollte, noch keine Abweichung von dem von den Marktteilnehmern erwarteten Zinspfad erforderlich wäre. Das derzeitige Narrativ Lagardes legt diesen Fehlschluss nahe.
Und wann müssen die Zinsen erhöht werden? Genau dann, wenn beim gegebenen Zinspfad für 2024 eine Inflationsrate von über zwei Prozent prognostiziert wird.
Die unglückliche Kommunikation der EZB zeigt, dass sie es bei ihrer Strategieüberprüfung im Juli 2021 versäumt hat, sich intensiv mit den Voraussetzungen und Folgerungen ihrer Strategie des „Inflation focusing on“ (Inflationssteuerung) zu befassen, für das Zinsprognosen von zentraler Bedeutung sind.
Bei der großen Inflationsangst in der Bevölkerung sollte die EZB nicht länger den irritierenden Eindruck erwecken, eine expansive Politik sei notwendig, weil eine zu niedrige Inflation zu erwarten sei. Richtig verstanden und angewendet, kann sie mit dem Konzept des „Inflation focusing on“ darlegen, dass sie die Inflation trotz unvermeidlicher kurzfristiger Abweichungen mittelfristig unter Kontrolle halten kann.
Wer das anders sieht, sollte seine Prognose für 2024 vorlegen.
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