Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
es ist eines der großen Rätsel des Kapitalismus: Deutsche Waren sind in der ganzen Welt hochbegehrt – abzulesen am gewaltigen deutschen Außenhandelsüberschuss. Doch die Konzerne, die all diese Herrlichkeiten hervorbringen, sind international gesehen etwa so beliebt wie eine drei Jahre alte S.Oliver-Unterhose auf dem Grabbeltisch von TK Maxx.
Die Liste der 100 wertvollsten Unternehmen der Welt, die unser Börsenexperte Ulf Sommer alljährlich mithilfe des Handelsblatt Analysis Institute zusammenträgt, legt von dieser Misere eindrucksvoll Zeugnis ab.
Unter den 100 größten Unternehmen nach Börsenwert befinden sich gerade mal zwei deutsche Konzerne – SAP auf Platz 78 und Neuzugang Siemens auf Platz 93. An der Spitze dominiert natürlich die US-Techbranche, wertvollstes arabisches Unternehmen ist der Ölkonzern Saudi Aramco, wertvollster Europäer die französische Luxusschmiede LVMH.
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Expertinnen und Experten begründen die geringe Präsenz deutscher Unternehmen in den Prime 100 gerne mit der hiesigen Dominanz der Industrie, der Investoren vergleichsweise wenig Wachstum zutrauen.
Aber das erklärt noch nicht, warum das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Softwarekonzerns SAP 19 beträgt, das des US-Wettbewerbers Salesforce aber 57. Oder warum sich Toyota auf Platz 29 des Rankings wiederfindet, es aber keiner der drei großen deutschen Autobauer in die Prime 100 schafft. Und auch nicht, warum sich der Wert des Industriegasspezialisten Linde vervielfachte, kaum dass er nicht mehr als deutsches Unternehmen firmierte.
Fazit: „Made in Germany“ ist in der Welt ein Gütesiegel. „Managed in Germany“ löst bei Börsianern offenbar Fluchtreflexe aus.
Womöglich ist Biontech der vielversprechendste Anwärter für einen weiteren deutschen Stammplatz unter den Prime 100. Zumindest dann, wenn die Mainzer Biotech-Stars ihr Versprechen wahrmachen und neben dem weltweit ersten Coronaimpfstoff auch noch neuartige Krebsmedikamente auf den Markt bringen. Etwas überschattet von der Corona-Pandemie bahnt sich in der Onkologie nämlich derzeit eine wahre Revolution an, wie unsere Pharma-Reporter Maike Telgheder und Siegfried Hofmann berichten: Wissenschaftler rüsten körpereigene Immunzellen genetisch auf, um Tumore zu vernichten.
Damit gelang bereits in mehreren Fällen eine Heilung von totgeweihten Krebspatienten. Noch gibt es viele Fragezeichen bei den neuen Krebstherapien, doch in jedem Fall stehen neben Biontech mehrere andere deutsche Pharma-Begin-ups bei dieser Medizin-Revolution in der ersten Reihe.
Man muss kein Experte für Geopolitik sein, um zu erkennen: Der Konflikt zwischen Moskau und der Nato um die Souveränität der Ukraine wird eines der ganz heißen Eisen des Jahres 2022.
Ungewöhnlich deutlich hat der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin am Montag westliche Militärattachés vor einem Krieg in Osteuropa gewarnt. In Moskau sagte er: „In der letzten Zeit ist die Allianz zu einer Praxis direkter Provokationen übergegangen, die ein hohes Risiko darstellen, sich zu einer bewaffneten Konfrontation auszuweiten.“
Erneut warnte Fomin vor einem möglichen Nato-Beitritt der Ukraine. Der Westen steckt in einem Dilemma: Am einfachsten wäre es, dem russischen Bedürfnis nach einem neutralen Cordon Sanitaire in Osteuropa entgegenzukommen, zumal ein Nato-Beitritt der Ukraine ohnehin nicht auf der Tagesordnung steht.
Doch je lauter das Säbelgerassel, mit dem Moskau diese Forderung untermauert, desto weniger kann die Nato von ihrer Place abrücken: Dass nämlich die Souveränität der Ukraine nicht eingeschränkt werden darf – und diese Souveränität gegebenenfalls auch einen Nato-Beitritt einschließen kann.
Fazit: Es sind solche Konstellationen, aus denen die Kriege entstehen, die eigentlich niemand will.
Für Deutschland ist die Lage besonders vertrackt, weil es mit Russland über die fertiggestellte, aber noch nicht in Betrieb genommene, Gaspipeline Nord Stream 2 verbunden ist. Sollte Deutschland diese Pipeline nutzen, um Druck auf Moskau in Sachen Ukraine auszuüben? Oder sind wir zu sehr auf russisches Fuel angewiesen, um uns solch ein Pokerspiel erlauben zu können? Über diese Frage streiten unsere Ressortleiter Jens Münchrath (Ausland) und Jürgen Flauger (Unternehmen) – beide Kontrahenten haben gute Argumente.
Und dann ist da noch die Frage, die ich gestern an die Freundinnen und Freunde des Morning Briefings gerichtet hatte. Gesucht wurde ein Begriff für die seltsame Stimmung bei einer weihnachtlichen Autobahnfahrt durch trübe Mittelgebirgslandschaft.
Hier meine persönlichen Favoriten aus Ihren Vorschlägen:
- „Fahrt durch eine Trauerkarte“
- „Müßiggang in Rauhtagen“
- „Completely satisfied Versicherungs-Weihnacht“
Ich wünsche Ihnen heute einen schönen Rauhtag mit genau der richtigen Menge Müßiggang.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt
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