Gegen den Stress
Warum Resilienz in Krisenzeiten so wichtig ist
t-online, Ann-Kathrin Landzettel
Aktualisiert am 07.11.2024 – 12:50 UhrLesedauer: 6 Min.
Angst vor Krieg, wirtschaftliche Krisen, Homeoffice: Die aktuelle Weltlage ist eine seelische Dauerbelastung und verursacht Stress und Unsicherheit. Eine wichtige Rolle spielt dabei die seelische Widerstandskraft.
Krisenzeiten sind eine seelische Dauerbelastung. Angst vor politischen Eskalationen, Unsicherheiten in der beruflichen Situation sowie familiäre Herausforderungen bringen viele Menschen an ihre Grenzen. Doch es gibt Wege, schwierige Situationen unbeschadet zu überstehen. Wie lässt sich die Resilienz – also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überstehen – stärken?
Die Lebenssituation in der Hochphase der Corona-Pandemie war von vielen Ängsten und Unsicherheiten begleitet. Die vielen Sterbefälle und die Isolation stellten für viele Menschen eine enorme Belastung dar. Im Herbst 2024 nehmen die Coronafälle wieder zu, der Krieg in der Ukraine und der Nahostkonflikt eskalieren in Terror und Tod. Dazu überschlagen sich aktuell die politischen Ereignisse in Deutschland und den USA. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig und seelisch stark belastet.
„Insbesondere das Gefühl, nichts tun zu können, dem hilflos ausgeliefert zu sein, ist für viele Menschen schier unaushaltbar“, erklärt Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der auf Psychosomatik spezialisierten Privatkliniken in Duisburg, Eschweiler und Merbeck. „Die Dauerbelastung fördert Verunsicherungen, Verstimmungen und Ängste, die zu psychischen Erkrankungen führen beziehungsweise diese verstärken können.“
Erschwert wurde die Situation während der Pandemie durch die Reduzierung sozialer Kontakte. Beisammensein, Geselligkeit, Anteilnahme, Austausch: All das wurde durch die Kontaktbeschränkungen stark minimiert. Und wenn man sich mit anderen trafschwang, mit Abstand, schwang die Sorge mit: „Stecke ich jemanden an? Steckt mich jemand an?“ Die Bilder von Covid-19-Betroffenen auf den Intensivstationen haben sich in unser Gedächtnis eingebrannt.
„Die Reduktion der wichtigen sozialen Kontakte auf ein Minimum fördert depressive Verstimmungen. Denn der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen“, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
„Dieses Dilemma, sich zwischen gefühlter Ansteckung und antizipiertem Existenzverlust entscheiden zu müssen, ist für viele Menschen kaum auszuhalten. Hierdurch steigt der Stresspegel. Es ist daher zu befürchten, dass diese Beeinträchtigungen zu einer Zunahme psychischer Beschwerden wie etwa Angst- und Zwangsstörungen oder Depressionen führen wird.“
Resiliente Menschen fühlen sich in Krisensituationen weniger hilflos und reagieren mit einem größeren Selbstwirksamkeitsempfinden. Das bedeutet, dass sie eine gewisse persönliche Überzeugung in sich tragen, eine schwierige Situation gut überstehen zu können. Doch wie schafft man es, in einer solchen Ausnahmesituation stark zu bleiben und die eigene Widerstandskraft (Resilienz) zu stärken?
Die sieben Säulen der Resilienz:
- Optimismus: Nehmen Sie eine positive Haltung ein.
- Akzeptanz: Nehmen Sie die Dinge an, wie sie sind.
- Lösungsorientiertheit: Fokussieren Sie sich auf Lösungen und weniger auf die Probleme.
- Aufgeben der Opferrolle: Werden Sie aktiv. Nehmen Sie die Gestaltung selbst in die Hand.
- Selbstverantwortung übernehmen: Übernehmen Sie die Regie in Ihrem Leben.
- Beziehungen gestalten: Pflegen Sie Beziehungen zu Menschen, die Ihnen etwas bedeuten und die Ihnen Kraft geben – auch wenn es digital ist.
- Zukunftsplanung: Schauen Sie öfter nach vorn als zurück.
Das eine verlässliche Patentrezept, um die eigene Resilienz zu stärken, gibt es laut Hagemann nicht. Hier müsse jeder auf sich und die eigenen Bedürfnisse hören.
„Hilfreich ist auf jeden Fall zu versuchen, sich rational klarzumachen, worin die akute Gefahr besteht, statt sich von Ängsten und Emotionen leiten zu lassen. Konkret können Sie sich fragen: Was bringt es mir, etwas Unveränderliches verändern zu wollen? Ist es nicht viel besser, diese Energie in etwas Sinnvolleres zu investieren?“, rät der Psychiater.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burnout und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.
Wichtig für die Stärkung der eigenen Resilienz ist es, sich aktiv und wirksam zu fühlen. Das Gefühl zu haben, selbst etwas zu gestalten und in der Hand zu haben, seinen Alltag positiv beeinflussen zu können und aktiv Dinge zu tun, die Kraft spenden.
Passivität hingegen schwächt die eigene Resilienz. Je passiver man ist, desto stärker nimmt das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins zu. Überlegen Sie sich, was Ihnen wichtig ist – und welche kreativen Möglichkeiten es gibt, dies auch in Ausnahmesituationen und Krisenzeiten weitestgehend umzusetzen.
„Statt den Kopf in den Sand zu stecken und die momentane Isolation als unerwünschte Zwangsmaßnahme zu sehen, bringt es viel mehr, sich sinnvolle Aufgaben zu suchen und kreativ zu sein“, rät Hagemann. Die digitale Welt bietet viele Möglichkeiten des Austauschs. Konzentrieren Sie sich darauf, was Sie selbst dazu beitragen können, um sich sicherer zu fühlen.