Hinzu kommt, dass der Wirtschaftsminister zunächst in einer Pressemitteilung am Mittwoch erklärt, er wolle seine Vorschläge nun an Verbände von Start-ups, Handwerk, Mittelstand, Industrie sowie Gewerkschaften und Ökonomen senden, um sich anschließend „zu einem vertieften Austausch Ende November“ zu treffen. In Indien hingegen beteuert Habeck, er habe ein Papier zur Vorbereitung auf die Gespräche im Kanzleramt geschrieben. Wer die beiden Politiker in Neu-Delhi beobachtet, erkennt an Auftritt und Körpersprache schnell, dass die Stimmung im Keller ist.
Rund 12.000 Kilometer entfernt beschließt Christian Lindner derweil auch noch etwas in die Waagschale zu werfen. Weil, warum nicht? Aber nicht, bevor er die Vorschläge seines Kabinettskollegen noch einmal schön zerlegt hat. Den Vorstoß von Habeck nennt Lindner „konzeptionelle Hilflosigkeit“. Und um Scholz gleich auch noch einen mitzugeben, plädiert der Finanzminister stattdessen wieder für Kürzungen, zum Beispiel beim Bürgergeld.
Dann verkündet Lindner, er werde ebenfalls zu einem Gipfel einladen. Wenn Scholz am kommenden Dienstagnachmittag Vertreter von Industrie und Gewerkschaften im Kanzleramt empfängt, treffen Lindner und die FDP-Fraktion im Bundestag Spitzenvertreter von Wirtschaftsverbänden, die nicht ins Kanzleramt geladen sind, etwa den Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Gegenveranstaltung hat anschließend sogar eine eigene Pressekonferenz. Als Habeck am Freitag in Neu-Delhi gefragt wird, ob er nicht doch auch einen Gipfel planen wolle, antwortet der provokant: „Ich selbst werde keinen Gipfel machen, der Gipfel ist meine Arbeit.“ Sein Papier sei „ein Impuls für den Gipfel des Kanzlers“ gewesen, so Habeck, er wolle in seiner Rolle „als Anwalt der Wirtschaft“ zum Gelingen des Treffens beitragen.
Es ist ein gehöriges wirtschaftspolitisches Gezanke, das die drei Ampelpolitiker da präsentieren. Scholz, der eigentlich nie aus der Haut fährt, reicht es am Samstagabend. Bei einem Pressestatement sagt er angesprochen auf die Frage, was da schon wieder los sei: „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen.“ Bisherige Formate zur Belebung der Wirtschaft seien oft Showveranstaltungen gewesen. Er aber wolle sich in vertraulicher Runde mit Industrievertretern und Gewerkschaftern zusammensetzen. Und zur „vertraulichen Runde“ gehören in dem Zusammenhang offenbar weder Habeck noch Lindner.
Man darf sich bei all dem Heckmeck fragen, ob jetzt nicht wirklich ein neuer Tiefpunkt erreicht ist. Ob einer der Koalitionäre, vermutlich die FDP, nicht doch ihre Konsequenzen aus dem scheinbar irreparablen Verhältnis zieht – und aussteigt. Dann könnte es zum Beispiel auf Neuwahlen im Frühjahr hinauslaufen.
Der Haushalt, den der Bundestag bis zum 14. November fertiggestellt haben soll, wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Lindner hatte bereits angedeutet, dass er nur, wenn es gelingt, einen stabilen Etat auf die Beine zu stellen, weitermacht. Nur, was ist heute schon „stabil“? Derzeit ist die globale Minderausgabe noch zu hoch. Das ist Geld, das aktuell im Haushalt fehlt, was aber über mögliche Einsparungen, die sich ergeben, oder durch Mehreinnahmen ausgeglichen wird. Um diese zu senken, drängt Lindner aufs Sparen, etwa beim Bürgergeld. Außerdem sollen die Milliarden, die für den Bau einer Chipfabrik von Intel bei Magdeburg vorgesehen sind, die aber nicht akut benötigt werden, aus dem Klima- und Transformationsfonds in den Haushalt fließen.