„Museum für verkorkste Reformen“
Arbeitgeberpräsident knöpft sich Scholz vor
Von reuters, dpa, t-online
22.10.2024 – 11:55 UhrLesedauer: 3 Min.
Beim Deutschen Arbeitgebertag muss sich Kanzler Scholz harsche Kritik anhören. Der reicht die Schuld für die Wirtschaftsmisere nach Brüssel weiter.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die EU-Regulierung als eines der großen Probleme für die deutsche Wirtschaft bezeichnet. In der EU brauche man „endlich Bürokratieabbau und zwar in großem Umfang“, sagte der Kanzler am Dienstag auf dem Deutschen Arbeitsgebertag. Es sei zwar richtig, wenn die EU dafür sorge, dass auf dem EU-Binnenmarkt gemeinsame Regeln gelten. „Aber da sind Dinge rausgekommen, wo man sich auch nur wundert“, kritisierte er.
Als Beispiel nannte er 1.500 Berichtspunkte beim Thema Nachhaltigkeit, die die EU vorgebe. „Da sind irgendwie die Gäule durchgegangen“, fügte Scholz hinzu. Die Bundesregierung versuche an sehr vielen Stellen, Bürokratie abzubauen. Er sagte zu, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr das umstrittene Lieferkettensorgfaltsgesetz anpacke.
Scholz kritisierte zudem einen zunehmenden Protektionismus. „Wir brauchen mehr Handelsverträge und weniger Zölle“, sagte er auch in Anspielung auf den Streit mit der EU-Kommission über die Verhängung von Strafzöllen gegen China. Drittens habe die EU-Kommission als eine große Aufgabe ihrer neuen Legislaturperiode die Vollendung der Kapitalmarktunion.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat den Kurs der Ampelregierung in seinem Redebeitrag scharf kritisiert – und mit ihr auch einen ganz anderen Schuldigen für die schwächelnde deutsche Wirtschaft ausgemacht als Scholz. „Die Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Standort Deutschland hat für Investoren an Attraktivität verloren“, beklagte Dulger.
„Im Vergleich zu den vergangenen Monaten scheint das Problembewusstsein in dieser Bundesregierung zumindest gestiegen zu sein“, so Dulger. In den Bereichen Fachkräftezuwanderung und Entbürokratisierung habe es Fortschritte gegeben. Doch das sei nicht genug. „Wettbewerbsfähigkeit muss man sich erarbeiten. Das kann man nicht herbei subventionieren“, sagte er.
Neben Digitalisierung, geförderten Unternehmensgründungen und begrenzten Sozialabgaben sieht Dulger Handlungsbedarf auch beim Bürgergeld. Die „missratene Bürgergeldreform“ müsse korrigiert werden. Dulger zufolge bremst sie mehr, als sie nützt. „Das Rentenpaket II gehört ins Museum für verkorkste Reformen“, verlangte er. Anreize für Frühverrentung sollten abgebaut werden, Arbeit müsse auch über das Renteneintrittsalter hinaus attraktiv sein.
Dulger sprach sich zudem für geregelte Migration in den Arbeitsmarkt aus. Er warnte vor einer „Abwärtsspirale“, wenn die Menschen den Eindruck hätten, dass die Politik Probleme nicht lösen könne oder wolle – und eins dieser Probleme sei die Migration. Es sei nötig, geregelte und ungeregelte Migration zu trennen. Es sei gut, „dass der Staat jetzt an den Grenzen Präsenz zeigt“, sagte er mit Bezug auf die jüngst ausgeweiteten Kontrollen.
Scholz sieht Deutschland dabei schon auf einem guten Weg. Deutschland sei noch immer ein starkes Land. Der Kanzler appellierte mit Hinweis auf seinen geplanten Pakt für Industriearbeitsplätze, dass das Land nicht schlecht geredet werden dürfe: „Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage, in der schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen – und schlechte Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen.“
Ähnlich wie Dulger forderte er wegen des demografischen Wandels eine konsequente Zuwanderung von Arbeitskräften. Fast alle europäischen Länder würden in den kommenden Jahren schrumpfen. „Deutschland kann das eine nicht englisch-sprechende Land sein, das zu verhindern“, betonte der Kanzler mit Blick auf das Zuwanderungsgesetz. Weil die Lohnnebenkosten derzeit steigen statt sinken, müssten zudem die sozialen Sicherungssysteme „effizienter“ werden, kündigte Scholz zudem an. So begründete er auch die umstrittene Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Insgesamt müsse man das Arbeitskräftepotenzial besser ausnutzen. Dazu habe die Regierung eine Reihe von Anreizen beschlossen, etwa damit ältere Arbeitnehmer später in Rente gehen, falls sie dies wollen. Eine Anhebung des offiziellen Renteneintrittsalters lehnte der Kanzler dagegen ab. Insgesamt müssten mehr Arbeitsstunden geleistet werden, sagte er mit Blick etwa auf Teilzeitarbeit.