Krise bei den Grünen
Grüner Neustart mit Fehlzündung: Realpolitik versus Ideale
Aktualisiert am 26.09.2024 – 15:29 UhrLesedauer: 4 Min.
Erst tritt die Grünen-Spitze zurück, dann verlässt der komplette Vorstand der Grünen Jugend die Partei. Das Geruckel zeigt, dass die Ampel-Kompromisse nicht nur für die FDP hart sind.
Führende Grünen-Politiker wollen den angekündigten Rücktritt der Parteivorsitzenden als Chance für einen Neuanfang nutzen. Doch intern herrscht Verunsicherung. Dazu hat auch beigetragen, dass – kurz nachdem Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch ihre Entscheidung öffentlich gemacht hatten – überraschend alle Mitglieder des Bundesvorstandes der Grünen Jugend wegen ideologischer Bauchschmerzen ihren Austritt aus der Partei verkündet haben.
Nein. Zwar brodelt an Tag Eins nach dem Doppelknall die Gerüchteküche und in kurzfristig anberaumten Schaltkonferenzen muss viel erklärt werden. Doch politische Mitbewerber, die jetzt schon den Abgesang auf die Partei anstimmen, sind vielleicht zu voreilig.
Das Nachdenken beginnt am Sonntag, dem Tag der Landtagswahl in Brandenburg. Am Mittwoch kündigt der Parteivorstand dann seinen Rücktritt an – nach vier vergeigten Wahlen. Mitte November, so sagen Lang und Nouripour, soll beim regulären Bundesparteitag in Wiesbaden vorzeitig eine neue Parteispitze gewählt werden. Eine inhaltliche Distanzierung der beiden Co-Chefs von ihrer Partei oder von der Politik der Ampel ist das nicht. Vielmehr will man Konsequenzen ziehen nach einer Serie von Wahlschlappen, womöglich auch weil dem aktuellen Vorstand ein Rezept dafür fehlt, wie es künftig besser laufen könnte.
Eine zweite Überraschung, die wenige Stunden später im Grünen-Kosmos für Aufregung sorgt, hat dagegen sehr wohl mit politischen Differenzen zu tun. Der Bundesvorstand der Grünen Jugend will demnächst ebenfalls abtreten. Die zehn Vorstandsmitglieder geben ihren Austritt aus der Partei bekannt, den sie mit zu wenig linkem Profil und zu vielen Ampel-Kompromissen begründen. „Wir sind nicht länger bereit, unseren Kopf für eine Politik hinzuhalten, die wir falsch finden“, heißt es in einer Erklärung, die sie veröffentlichen. Darin kündigen sie ihre Absicht an, dazu beizutragen, „dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann“.
Kurz darauf wird klar, dass ihnen zwar einige Mitglieder der Parteijugend auf diesem Weg folgen werden. Die Existenz der Grünen Jugend sei aber nicht gefährdet, ist aus der Bundestagsfraktion zu hören. Vor allem unter den „Realos“ in der Partei sind viele über den Abgang der von ihnen als zu radikal empfundenen Co-Vorsitzenden der Grünen Jugend, Svenja Appuhn und Katharina Stolla, nicht unglücklich, auch wenn das keiner laut sagt.
Angesichts des Abschieds der Grünen von einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik und der Bereitschaft mit der CDU zu koalieren, sei der Rückzug des Vorstands der Grünen Jugend konsequent, sagt Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Gruppe Die Linke. „Ich bin sicher, dass es künftig zu inhaltlichen Überschneidungen kommen wird“, fügt sie hinzu.
Der Rücktritt der Parteivorsitzenden sei Ausgangspunkt für eine Neuaufstellung der Grünen, sagt Fraktionschefin Britta Haßelmann. Damit sei der Weg frei für die Aufstellung für die nächsten Wahlkämpfe mit neuem Personal und einer strategischen Diskussion über die Ausrichtung der Partei, führt sie in der ARD aus. Natürlich befinde sich die Partei in einer ernstzunehmenden Lage, räumte Haßelmann ein. Nötig seien nun Klarheit, Ruhe und Stabilität.
Die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, weist Forderungen aus der Union nach Neuwahlen zurück. „Ich halte das für einen Weg, der ins Chaos führt“, sagt sie im Deutschlandfunk. Das größte Land der Europäischen Union müsse in diesen Zeiten stabil regiert werden. Ihre Partei habe den Anspruch, eine Aufholjagd zu starten. „Und das verbinden wir mit einer Kanzlerkandidatur“, sagt Dröge.
Offiziell ist zwar noch nichts entschieden, doch seitdem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärt hat, sie wolle es 2021 nicht noch einmal versuchen, gilt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als gesetzt.