Ursula von der Leyen will Europa vor russischen Raketenangriffen schützen. Der Aufbau eines israelischen Verteidigungssystems könnte Hunderte Milliarden kosten. Doch neue Finanzierungsvorschläge eines einflussreichen Brüsseler Thinktanks dürften bei sparsamen EU-Mitgliedern wie Deutschland für Ärger sorgen.
Brüssel sollte Eurobonds ausgeben, um einen neuen europäischen Luftabwehrschild zu finanzieren, empfiehlt die führende ökonomische Denkfabrik Bruegel in einem heute (17. September) veröffentlichten Bericht.
Bruegels Vorschläge erfüllen ein zentrales Wahlversprechen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – könnten aber auch in Berlin, wo man sich stets gegen eine gemeinsame Kreditaufnahme ausgesprochen hat, die Alarmglocken läuten lassen.
Der russische Einmarsch in die Ukraine habe zwar Europas Verwundbarkeit verdeutlicht, doch ein Luftabwehrschild nach israelischem Vorbild könne Hunderte Milliarden Euro kosten und erfordere möglicherweise kreatives Denken, hieß es in dem Bericht der Brüsseler Denkfabrik.
„Man muss Fremdkapital aufnehmen, um das große Anfangskapital zu bezahlen“, sagte Co-Autor Guntram Wolff gegenüber Euronews und fügte hinzu: „Mit den aktuellen Budgets ist das nicht wirklich zu finanzieren.“
„Ein einzelnes Land kann keine ausreichende Luftverteidigung bieten. Es gemeinsam zu tun, ist sehr sinnvoll“, sagt Wolff, ein leitender Mitarbeiter der Denkfabrik.
Die größte Bedrohung stelle Russlands enormes Drohnen- und Raketenpotenzial dar, doch Europa müsse auch auf Angriffe nichtstaatlicher Akteure oder hybride Kriegsführung vorbereitet sein, etwa durch Houthi-ähnliche Milizen an seinen Grenzen.
In einem im Juli veröffentlichten Manifest für ihre zweite Amtszeit erklärte von der Leyen, sie werde einen europäischen Luftschutzschild aufbauen und gleichzeitig die Cyberabwehr stärken, ein Projekt von gemeinsamem Interesse. Damit deutete sie an, dass sie von den etablierten EU-Mitteln profitieren würde.
Auch der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, wirbt für die Idee von EU-Verteidigungsanleihen zur Beschaffung von Mitteln für den Ausbau der militärischen Kapazitäten. In Deutschland ist diese Idee allerdings unter den Falken umstritten, die die aus ihrer Sicht als Subventionen für schwächere EU-Volkswirtschaften betrachteten Anleihen ablehnen.
Für jedes EU-System müsste zwischen mehreren Optionen auf dem Markt gewählt werden, darunter das in den USA hergestellte Patriot-System, das deutsche IRIS-T oder das französisch-italienische SAMP-T.
Die EU könnte sofort mit der Beschaffung bei den bestehenden Herstellern beginnen und gleichzeitig in die Forschung investieren, um eine Zusammenarbeit zwischen ihnen zu erreichen, schlägt der Bruegel-Bericht vor.
Vielleicht noch besorgniserregender ist, dass es der Kommission verboten ist, direkt Geld für militärische Ausrüstung auszugeben – nicht zuletzt, weil EU-Mitglieder wie Irland und Österreich nichts beitragen wollen, was ihre Neutralität verletzt.
Dieses Problem könne umgangen werden, indem man die Pläne als Investition in die EU-Industrie darstelle, sagt Bruegel – und tatsächlich hat von der Leyen versprochen, die neuen Systeme sollten „auf europäischem Boden entworfen, gebaut und eingesetzt werden“.
Ein derartiger Protektionismus könnte in den USA zwar Verdruss hervorrufen – doch Wolff ist zuversichtlich, dass die Vorbehalte Deutschlands ausgeräumt werden können.
„In den nächsten ein bis zwei Jahren wird es eine große Nachfrage nach der Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeiten geben“, sagte er und fügte hinzu, dass die deutschen Politiker – sowohl die derzeit in der Regierung befindlichen als auch die Oppositionspolitiker – „darüber nachdenken müssen, wie große Vorabinvestitionen finanziert werden können. Europäische Schulden sind eine Möglichkeit, dies zu tun.“