Eine wichtige Entscheidung im Ukraine-Krieg bahnt sich an: Der Westen könnte Kiew erstmals erlauben, Langstreckenwaffen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Politiker der Ampel unterstützen den Schritt.
Lange galt ein Verbot, nun könnte der Westen die Freigabe erteilen: Washington und London stehen offenbar kurz davor, der Ukraine den Einsatz weitreichender Waffen gegen militärische Ziele in Russland zu erlauben.
US-Außenminister Anthony Blinken sagte bei einem Besuch mit seinem britischen Amtskollegen David Lammy in Kiew am Mittwoch, man arbeite „mit Dringlichkeit daran, weiterhin sicherzustellen, dass die Ukraine alles hat, was sie braucht, um sich wirksam zu verteidigen“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bei dem Treffen erneut um die Freigabe westlicher Waffen mit großer Reichweite geworben (hier lesen Sie mehr zur möglichen Raketenwende des Westens). Zuvor sagte auch US-Präsident Joe Biden, man „arbeite derzeit“ an einer Lösung.
Ein möglicher Grund für das strategische Umdenken im Westen: Russland soll laut US-Angaben vor Kurzem eine Lieferung iranischer Raketen erhalten haben. Die ballistischen Kurzstreckenraketen vom Typ Fath-360 haben eine geschätzte Reichweite von rund 120 Kilometern und sollen innerhalb weniger Wochen einsetzbar sein (mehr dazu hier). Seit zwei Jahren greift die russische Armee gezielt ukrainische Städte mit Bomben und Raketen an, der Nachschub aus Teheran hat die Regierung in Kiew alarmiert. Moskau und Teheran bestreiten den Raketendeal.
Umso eindringlicher fordert die ukrainische Regierung nun, sich gegen die Raketenangriffe zu wehren – auch mithilfe westlicher Waffen gegen Ziele in Russland. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), unterstützt das Ersuchen. „Wir sehen zurzeit fast täglich, wie Russland schwerste Kriegsverbrechen begeht, indem es zivile Ziele wie Kinderkrankenhäuser, Baumärkte oder Wohnhäuser angreift.“ Die Lieferung iranischer Kurzstreckenraketen an Russland erhöhe die Bedrohung für ukrainische Städte zusätzlich. Selbst die beste Luftverteidigung der Welt könne nicht alle russischen Luftangriffe aufhalten, sagte Roth zu t-online.
Deshalb sei es richtig und völkerrechtskonform, nun endlich militärische Ziele in Russland mit weitreichenden westlichen Raketen anzugreifen. Als mögliche Ziele nennt Roth „Militärflugplätze, Kommandozentralen oder Abschussbasen“. Denn von diesen Basen aus würden die „perfiden Angriffe auf zivile ukrainische Ziele durchgeführt – und dort können sie auch am effektivsten gestoppt werden“.
„Deutschland muss seine Verweigerungshaltung aufgeben“
Sein Ampelkollege Marcus Faber, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, forderte ebenfalls eine Freigabe der Waffen: „Die Genehmigung, russische Militärflughäfen mit weitreichenden Waffen wie ATACMS und Storm Shadow ins Ziel zu nehmen, ist überfällig“, sagte der FDP-Politiker zu t-online. Von diesen Flughäfen stiegen regelmäßig russische Bomber auf, um ukrainische Städte zu beschießen. Mit der Freigabe der Waffen könne sich die Ukraine endlich angemessen verteidigen.
Faber verweist zudem darauf, dass auch Deutschland als größter Ukraine-Unterstützer in Europa in der Verantwortung stehe. Der iranische Raketendeal mit Russland sei eine Eskalation, auf die die Bundesregierung reagieren müsse, und zwar indem sie deutsche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefere. „Deutschland muss seine Verweigerungshaltung beim Taurus aufgeben“, so Faber. Es wäre die Chance, der Ukraine in einem kritischen Moment zu helfen, sich gegen den russischen Bombenterror zu wehren.
Auch Politiker der Grünen plädieren für eine Aufhebung des Verbots für Langstreckenwaffen. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte t-online: „Russland terrorisiert die ukrainische Zivilbevölkerung täglich mit Raketenangriffen auf Krankenhäuser, Wohnhäuser und die Energieversorgung.“ Um die ukrainische Zivilbevölkerung effektiv schützen zu können, müsse die ukrainische Armee in die Lage versetzt werden, militärische Basen auf russischem Territorium mit weitreichenden Waffen treffen zu können. „Die bisherigen Beschränkungen der gelieferten Waffen kosten viele Menschenleben“, so der Grünen-Politiker.