Weil Karlsbad vor allem auf russische Gäste gesetzt hat, bleiben jetzt die Hotelbetten leer. Ein guter Zeitpunkt für Deutsche, noble Herbergen zu buchen.
Karlsbad im Winter: Nur eine Handvoll Passagiere haben sich in die Seilbahn zum Aussichtsturm Diana verirrt, der seit mehr als 100 Jahren auf der Freundschaftshöhe direkt über dem Zentrum des böhmischen Heilbades thront. Das beliebte Ausflugslokal hat geschlossen; das Schmetterlingshaus sowie der Minizoo sind verwaist.
Ein schmuckloses Schild am Turm verkündet, dass der Aufzug außer Betrieb ist. Wer die Kurlegende am Fluss Tepla aus der Vogelperspektive erleben möchte, muss notgedrungen die 150 Stufen hinaufgehen.
Oben angekommen, fegt eine steife Brise den Kletterer beinahe von der Aussichtsplattform. Dicke Schneewolken hängen über den Hügeln des Erzgebirges, die sich im Westen auftürmen. Nur im Süden, im majestätischen Kaiserwald, blitzt gelegentlich die Sonne hervor.
Schon nach wenigen Minuten sind die Glieder steif gefroren. Nur schnell runter vom Turm und hinein ins Warme, in eines der traditionsreichen Cafés, wo schon der junge Goethe, Beethoven und Kaiser Franz I. tafelten.
Perle des böhmischen Bäderdreiecks verwaist
Eine steife Brise rüttelt auch sinnbildlich an den Grundfesten Karlsbads, das gemeinsam mit zehn weiteren traditionsreichen Kurstädten in Europa im Jahr 2021 in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen wurde. Denn wegen des Ukrainekriegs, der Sanktionen und verschärfter Einreisebestimmungen für Russen wurde das Heilbad ungewollt zum Kriegsverlierer. „Karlsbad war wie eine russische Enklave“, erzählt Reiseleiterin Sarka Kostalova.
Während Deutsche und Österreicher oft nur für ein paar Tage in die Perle des böhmischen Bäderdreiecks kämen, seien die konsumfreudigen Russen oft mehrere Wochen geblieben. Die Statistik untermauert ihre Aussage: 2019 gingen 31.5000 Übernachtungen auf das Konto von Russen, 2022 waren es gerade einmal 10.000.
Wandel der Touristen spürbar
Wer an der Tepla entlang spaziert, vorbei an prächtigen Bauten im Stil des Historismus und des Jugendstils, sieht die Unterschiede zu früher sofort. Die kyrillische Schrift ist noch immer auf Speisekarten, Werbetafeln und Geschäftsschildern zu finden.
Doch mischen sich nur noch selten russische Wortfetzen in den Wohlklang aus Tschechisch, Deutsch, Spanisch oder Japanisch. In der 132 Meter langen Mühlbrunnenkolonnade standen die russischen Kurgäste einst Schlange, um mineralienreiches Heilwasser aus den typischen Schnabeltassen zu schlürfen.
Heute versammeln sich japanische Besuchergruppen zum Gruppenfoto in der Sprudelkolonnade, einer architektonischen Grausamkeit aus Eisen und Stahl, wo eine bis zu 74 Grad heiße Quelle bis zu zwölf Meter in die Höhe schießt.
Glamour weicht Gemütlichkeit
In der Fußgängerzone Stara Louka drehen die Verkäufer der Nobelboutiquen und Juweliere Däumchen, weil statt betuchter Russinnen mit Zobelpelz, Valentino-Täschchen und mörderischen Highheels deutsche Senioren über das Kopfsteinpflaster stiefeln, immer auf der Suche nach Oblaten, Gulasch und Pilsner Bier.
Die Zeiten üppigen Glamours sind selbst in den traditionsreichen Nobelherbergen mit fünf Sternen vorüber, wo im hauseigenen Restaurant zwar der Dresscode „smart casual“ propagiert wird, in den Fluren aber Jeans, Pullover und gelegentlich sogar Jogginghosen dominieren.
Die 173 Hotels und Herbergen sind schließlich auf Auslastung angewiesen. Abends zeigt sich das ganze Ausmaß der Misere. Restaurants bleiben geschlossen, ganze Etagen der hochherrschaftlichen Herbergen bleiben dunkel.
Selbst in den Flaggschiffen „Pupp“ sowie dem „Imperial“, das wie eine Tiara über der Stadt thront, sind noch Zimmer für wenig Geld zu bekommen. Bei einigen Busreiseveranstaltern gibt es die Woche Halbpension in einer der beiden Luxusherbergen bereits für 800 Euro: An- und Abreise sowie einige Kurbehandlungen sind im Preis dann inbegriffen. Wer sich mit einem Drei- oder Viersternehaus zufrieden gibt, kann locker einige Hundert Euro sparen.
Jedes zweite Haus in russischem Besitz
Karlsbad ist ein inszenierter Traum aus denkmalgeschützten Häusern, mit Stuck überladenen Foyers, in Gold schwelgenden Treppenhäusern und Heerscharen muskelbepackter Atlanten, die das Übermaß an Ornamenten kaum abstützen können. Dass sich die westböhmische Stadt, die der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier als „Ansammlung von Torten, alle vom gleichen Stil“ beschrieb, heute so prachtvoll wie vor 100 Jahren präsentiert, verdankt sie vor allem reichen Russen.