Düsseldorf Es ist eine Aktion, die den britischen Kunden von Octopus Vitality in Erinnerung bleiben dürfte: An einem Sonntag im Mai rief der Energieversorger sie per Push-Nachricht auf dem Smartphone auf, Strom zu verbrauchen – und damit Geld zu verdienen.
Mehr als 70.000 Menschen folgten dem Aufruf, der kein Advertising and marketing-Gag conflict – sondern womöglich ein Vorgeschmack auf die Strommärkte der Zukunft. Denn während der Octopus-Vitality-Aktion waren die Strompreise negativ. Es gab so viel Wind und Sonne, dass zu viel Energie im Netz conflict. Der Strom hätte abgeregelt werden müssen, stattdessen floss er in Tausende spontan eingeschaltete Waschmaschinen.
Strom verbrauchen, wenn viel Strom entsteht, und Strom sparen, wenn Dunkelflaute herrscht: Die Idee ist nicht neu, aber kaum ein Anbieter arbeitet so aggressiv an ihrer Umsetzung wie die Briten mit dem pinken Tintenfisch-Emblem. „Unser Ziel ist es, den Markt zu verändern“, verkündete Andrew Mack, Geschäftsführer des deutschen Octopus-Ablegers, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Das Unternehmen greift die etablierten Strukturen hierzulande dabei auf mehreren Ebenen an. Kunden macht es Angebote, die die Betreiber von Vergleichsportalen verblüffen. „Beim Strom bieten sie aktuell zum Beispiel Vertragslaufzeiten von einem Monat bei gleichzeitiger Preisgarantie von 24 Monaten an“, teilt die Vergleichs-Web site Verivox mit. „Angesichts der aktuell hohen Preise und der sehr angespannten Energiemarktlage sind solche Verträge für Verbraucher derzeit sehr attraktiv.“
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Bei Verivox zählt Octopus Vitality aktuell zu den zehn beliebtesten Anbietern. Auch bei Check24 hat der Versorger eine Weiterempfehlungsquote von 85 Prozent, laut einer Sprecherin des Portals ein sehr guter Wert.
So hat Octopus Vitality nach einem Jahr im deutschen Markt bereits eine fünfstellige Zahl von Kunden eingesammelt. Im Heimatmarkt Großbritannien ist er mit drei Millionen Kunden bereits der fünftgrößte Energieversorger.
„Energie-Revolution jetzt!“
Gleichzeitig will Octopus Vitality die Spielregeln für deutsche Energieversorger verändern. Dass Billiganbieter Kunden mit Kampfpreisen locken, und sie dann in einer Scenario wie der aktuellen nicht mehr mit Strom oder Gas versorgen können, geht dem Unternehmen gegen den Strich. In einem Positionspapier von Octopus Vitality an die Arbeitsgruppe Energie, die den neuen Koalitionsvertrag mit vorbereitet hat, heißt es: „Dubiose Geschäftspraktiken gehören unterbunden, um Vertrauen in die Branche wiederherzustellen.“
Vor allem aber kämpft das britische Unternehmen für eine Modernisierung des Energiesektors. Das Positionspapier an die Ampel-Vertreter, das der Versorger selbst als „Manifest“ bezeichnet, trägt den wenig zurückhaltenden Titel: „Energie-Revolution jetzt!“
Dass Octopus Vitality in der aktuellen Marktlage mit so attraktiven Energie-Angeboten und einem solchen Selbstbewusstsein auftritt, ist nicht ganz unbegründet. „Wir sind sehr intestine kapitalisiert“, sagt Geschäftsführer Andrew Mack. Schließlich hat das Unternehmen seit Kurzem mächtige Investoren im Rücken.
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der Canada Pension Plan – einer der größten kanadischen Pensionsfonds – mit einer Investition von 300 Millionen US-Greenback bei Octopus Vitality einsteigt. Nur einige Wochen zuvor hat der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore 600 Millionen Greenback investiert und besitzt nun 13 Prozent an Octopus Vitality.
Mit dem frischen Geld will Octopus Vitality „investieren, so viel wir können – so, wie es in der Digitalbranche üblich ist“, sagt Mack. „Aktuell liegt unser Fokus auf Funding und Wachstum, nicht auf Profitabilität.“
Alle Bereiche in einem Crew gebündelt
Die Investitionen dürften unter anderem in die grüne Stromerzeugung fließen, denn Octopus verkauft nicht nur Energieverträge, sondern besitzt auch Wind- und Solaranlagen in mehreren europäischen Ländern.
Der kanadische Fonds teilte auf Anfrage mit, mit seinem Funding die wachsenden Marktchancen nutzen zu wollen, die sich im Zuge der Weiterentwicklung des Energiesektors ergeben. Damit dürfte er aber nicht nur die grünen Stromerzeugungsanlagen meinen.
Im Zentrum der geplanten Investitionen steht die IT-Plattform von Octopus Vitality mit dem Namen Kraken. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg des Unternehmens und die zentrale Säule, auf der seine Ambitionen beruhen. „Unsere Technologie ist auf die Imaginative and prescient ausgerichtet, die wir von den zukünftigen Energiemärkten haben“, sagt Mack.
Klassische Energieanbieter hätten verschiedene Abteilungen für Themenbereiche wie Abrechnung, Stromzähler und Ähnliches, so der Geschäftsführer. „Wenn ein Kunde anruft, muss er erst einmal zum richtigen Ansprechpartner durchgestellt werden.“ Bei Octopus hingegen seien alle Bereiche auf einer Plattform gebündelt und werden von kleinen, Kunden fest zugeordneten Groups von Generalisten bearbeitet.
Die Kraken-Plattform vereinfacht Prozesse und spart Private. Vor allem aber kann sie mit Anforderungen umgehen, auf die konventionelle Systeme schlicht nicht ausgelegt sind. „Mit einem klassischen CRM-System ist es bereits schwierig, alle zwölf Monate den Stromtarif zu verändern“, sagt Mack. „Wir dagegen können dem Kunden täglich aufs Helpful pushen, wie viel sein Strom am nächsten Tag kosten wird.“
„Wollen im kommenden Jahr in Deutschland Echtzeit-Tarife einführen“
So soll die Software program ermöglichen, dass Kunden Strom vor allem dann nutzen, wenn er in ausreichenden Mengen verfügbar und somit günstig ist – und zwar langfristig, ohne dass der Kunde überhaupt selbst darauf achten muss.
Um den Stromverbrauch automatisch auf das Angebot zu optimieren, kooperiert Octopus Energy mittlerweile mit Tesla. Für Besitzer von Tesla-Wallboxen bieten die beiden Unternehmen gemeinsam einen besonders günstigen Stromtarif an. Die Idee: Die Wallbox soll den Tesla automatisch dann laden, wenn der Strom gerade günstig ist.
Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW sagt: „In Großbritannien funktioniert das Modell flexibler Stromtarife schon. Dort greift Tesla auf die Powerwall der Stromkunden zu, diese profitieren im Gegensatz von sehr günstigen Tarifen.“
In Deutschland ist all das noch Zukunftsmusik. Hier gibt es von Octopus Vitality noch keine variablen Stromtarife für die Kunden. Der günstige Tesla-Tarif ist für Besitzer entsprechender Wallboxen zwar schon zu haben, aber Octopus spart damit im Vergleich zu anderen Tarifen noch kein Geld.
Der Grund: Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind in Deutschland bislang nur sehr wenige intelligente Stromzähler, sogenannte Sensible Meter, verbaut. Deshalb kann bei den meisten Kunden der tatsächliche Stromverbrauch überhaupt nicht stundengenau nachgehalten und erst recht nicht reguliert werden.
Octopus Vitality will das ändern. „Wir setzen uns dafür ein, dass der Sensible-Meter-Rollout in Deutschland beschleunigt und die Bürokratie bei diesem Thema abgebaut wird. Dafür sind wir auch im Gespräch mit wichtigen, relevanten Stakeholdern“, sagt Mack. Er ist optimistisch, dass die neue Bundesregierung das Thema angehen will.
Octopus packt die Sache schon mal an: „Im kommenden Jahr wollen wir auch in Deutschland Echtzeit-Tarife einführen“, sagt Mack. „Anfang 2022 soll es einen Pilot-Tarif geben. Solche Tarife sind allerdings energiemarkttechnisch nur sinnvoll für Kunden, die schon Sensible Meter besitzen.“
Es gibt auch jetzt bereits Versorger wie das Unternehmen Tibber, die in Deutschland variable Stromtarife anbieten. Hier warnt Verbraucherschützer Sieverding allerdings: „Aktuell funktionieren diese Tarife nicht oder sind extrem teuer, da die Beschaffungskosten so hoch sind.“
Die Octopus-Plattform Kraken gewinnt indes immer mehr an Bedeutung. Der deutsche Energieriese Eon nutzt die Plattform seines Konkurrenten in Großbritannien bereits. Die Frage, ob Eon sie auch in Deutschland bald nutzen könnte, will Octopus-Deutschland-Geschäftsführer Mack nicht beantworten. Er deutet aber an: „Wir sprechen mit großen Energieunternehmen auf der ganzen Welt und werden weiterhin neue Kranken-Lizenzen vergeben.“