Plötzliche Ohrgeräusche wie Pfeifen, Piepen und Zischen sind nervig – und manchmal sogar kritisch. Wann Sie mit Tinnitus zum Arzt gehen sollten.
Unter dem medizinischen Fachausdruck „Tinnitus“ sind alle Formen von Ohrgeräuschen zusammengefasst. Nach Angaben der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. hat jeder Vierte schon einmal Geräusche im Ohr wahrgenommen. Während akuter Tinnitus vorübergehend ist, begleitet die chronische Form Betroffene oft jahrelang – und wird in manchen Fällen zu einer echten Belastung. Warum Sie Ohrgeräusche möglichst früh behandeln sollten.
Akuter Tinnitus klingt nach ein paar Tagen bis Wochen in der Regel wieder vollständig ab. Manchmal kann es sein, dass sich aus ihm eine chronische Form entwickelt. Als chronisch wird Tinnitus bezeichnet, wenn er länger als drei Monate anhält. Wie Betroffene die Ohrgeräusche wahrnehmen, ist unterschiedlich.
Manche nehmen ein Pfeifen wahr, andere ein Summen, Piepen, Brummen, Zischen, Rauschen, Klicken oder Klopfen. Diese Wahrnehmungen können mal lauter und mal leiser sein, sich kurzfristig verbessern und dann wieder verschlechtern. Es kann nur ein Ohr betroffen sein, aber auch beide Ohren. Je intensiver die Geräusche im Ohr sind, desto belastender ist das für die Betroffenen.
Während der leise, eher unauffällige Tinnitus durch Umgebungsgeräusche gut unterdrückt werden kann und meist in Stille von den Betroffenen wahrgenommen wird, ist der schwere Tinnitus ein Dauerbegleiter. „Vom schweren, quälenden Tinnitus sind etwa 1,5 Millionen Menschen betroffen. Dieser behindert den Alltag stark. Betroffene können oft nicht schlafen, sind in ihrer Konzentration deutlich beeinträchtigt oder sogar psychisch stark belastet“, erklärt Professor Gerhard Hesse, Ärztlicher Leiter der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse in Bad Arolsen und Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL).
Die meisten Menschen sind besorgt, wenn sie plötzlich Ohrgeräusche haben – und gehen zum Arzt. Das ist gut so: Sollten die Ohrgeräusche länger als einen Tag anhalten, rät auch die Deutsche Tinnitus-Liga, der Ursache schnell auf den Grund zu gehen. „Tritt zu den Ohrgeräuschen zusätzlich ein taubes Ohr auf, sollten Sie sogar gleich zum Hals-Nasen-Ohrenarzt gehen“, rät Hesse. „Dann besteht der Verdacht auf einen Hörsturz.“
Bei bis zu 45 Prozent der Fälle wird bei der Erstuntersuchung und auch später keine eindeutige Ursache des Tinnitus gefunden. Mediziner sprechen dann von „idiopathischem Tinnitus“. Bei etwa 43 Prozent der Betroffenen spielt Lärm als Auslöser die bedeutende Rolle. Ebenfalls stehen Schwerhörigkeit und Tinnitus häufig in Zusammenhang. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa zwei Drittel der Personen mit Schwerhörigkeit einen Tinnitus haben. Ebenso ist Tinnitus oft eines der ersten Symptome einer Hörminderung.
„Lärm und Schwerhörigkeit sind die beiden bedeutendsten Tinnitus-Ursachen. Je mehr Lärm im Laufe des Lebens in die Ohren dringt, desto schlechter ist das Hörvermögen im Alter. Übersteigt der Geräuschpegel die hinnehmbare Schwelle, sterben Haarsinneszellen im Ohr ab. Je mehr dieser Zellen zerstört sind, desto schlechter hören wir – und desto größer ist das Risiko für Tinnitus und Schwerhörigkeit“, sagt Hesse.
Professor Dr. med. habil. Gerhard Hesse ist Ärztlicher Leiter der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse in Bad Arolsen und Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL).
Laut dem Experten gilt: Je früher behandelt wird, desto besser. Ohrgeräusche können verschiedene Ursachen haben, die abgeklärt werden müssen und die eine entsprechende Therapie benötigen. Bei einer Schwerhörigkeit beispielsweise ist ein Hörgerät empfehlenswert. Bei einem Hörsturz wird in der Regel eine Infusionstherapie eingeleitet.
Bei Bluthochdruck können blutdrucksenkende Mittel eingesetzt werden. Störungen im Kiefergelenkbereich, etwa verursacht durch Muskelverspannungen oder Zähneknirschen, lassen sich kieferorthopädisch behandeln. Ohrerkrankungen sowie -verletzungen werden ebenfalls zielgerichtet therapiert.
„Ist die Ursache bekannt, ist deren Therapie der wichtigste Baustein der Behandlung. Spezielle Tinnitus-Medikamente gibt es derzeit nicht“, sagt Hesse. „Teilweise finden sogenannte Psychopharmaka Anwendung, die über ihre Wirkung auf das zentrale Nervensystem eine von dort ausgehende Tinnitus-Verstärkung lindern können. Zugleich können Psychopharmaka bei Schlafstörungen eingesetzt werden. Ebenfalls kann eine kognitive Verhaltenstherapie Betroffenen dabei helfen, mit einem chronischen Tinnitus zurechtzukommen.“
Wie ein Tinnitus verläuft, kann nicht genau vorhergesagt werden. Die gute Nachricht ist: Bei rund 80 Prozent der Betroffenen verschwindet der akute Tinnitus im Verlauf der Behandlung oder auch ohne Behandlung der Tinnitus-Liga zufolge weitgehend vollständig. Auch bei der chronischen Form gibt es Hoffnung: Über 70 Prozent der Betroffenen lernen im Verlauf der Zeit, mit den Ohrgeräuschen umzugehen und diese zu akzeptieren. Knapp 30 Prozent der Menschen verlieren ihren chronischen Tinnitus auch noch nach fünf bis zehn Jahren.