Die Asylpolitik der Bundesregierung steht nach den Morden von Solingen stark in der Kritik. Neue Daten, die t-online vorliegen, zeigen: Auch 2024 scheiterten bereits Tausende Abschiebungen – wie im Fall Issa al-Hassan immer häufiger kurzfristig.
Drei Menschen tötete der Messerangreifer in Solingen, acht weitere verletzte er schwer. Eine bundesweite Debatte über Asylpolitik und Polizeirechte ist entbrannt, allen voran aber über die Frage: Hätten die deutschen Behörden den Tatverdächtigen einfach früher abschieben und den Terrorakt auf dem Stadtfest so verhindern können? Denn Issa al-Hassan war abgelehnter Asylbewerber – und sollte bereits 2023 das Land verlassen.
Das bringt auch die Bundesregierung und allen voran Kanzler Olaf Scholz in Bedrängnis. Denn die Ampelkoalition hat Besserung gelobt, Scholz selbst versprach und forderte im vergangenen Herbst: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“. Seitdem hat es mehrere Gesetzesänderungen gegeben. Doch haben sie etwas gebracht?
Der Fall Issa al-Hassan zeigt, wie leicht sich das System noch immer austricksen, mehr noch: einfach aussitzen lässt. Zahlen aus dem Bundesinnenministerium, die t-online vorliegen, belegen: Ihr Versprechen von der großen Abschiebeinitiative kann die Bundesregierung bisher nicht einlösen.
Die Aufarbeitung im Fall des 26 Jahre alten Issa al-Hassan läuft, die zuständigen Behörden geben sich derzeit zugeknöpft. Ob und welche Fehler genau gemacht wurden, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Erste Anhaltspunkte aber sprechen dafür, dass es der Syrer leicht hatte, in Deutschland zu bleiben, obwohl er gehen sollte.
2022 kam Issa al-Hassan nach Deutschland, ein Jahr später sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er eingereist, nach den Dublin-Regeln war dieses für ihn zuständig. Wie die „Welt“ berichtet, stimmte Bulgarien der Überstellung auch zu. Eigentlich optimale Bedingungen für die Behörden.
Gegen seinen Abschiebebescheid reichte Issa al-Hassan mithilfe einer Anwältin aus Dresden Klage ein, wie der „Spiegel“ berichtet. Eine Abschiebung aber blieb weiter möglich, weil kein weiterer Antrag zur Aussetzung gestellt war. Im Juni 2023 dann folgte der Versuch, Issa al-Hassan abzuschieben. Aber in der Flüchtlingsunterkunft in Paderborn, in der er lebte, trafen ihn die Mitarbeiter der Ausländerbehörde nicht an.
Es blieb offenbar, so der Stand derzeit, beim einmaligen Abschiebeversuch und einmaligen Scheitern. Weil die deutschen Behörden zudem eine Frist zur Überstellung des Syrers nach Bulgarien nicht verlängert hatten, ging die Zuständigkeit für ihn auf Deutschland über. Ende 2023 schließlich erhielt der heute 26-Jährige subsidiären Schutz.
Aus dem Abzuschiebenden wurde im deutschen System so ein Schützling – in nur wenigen Monaten, ohne großen Aufwand.
Dass eine Abschiebung wie im Fall Issa al-Hassan auf den letzten Metern noch scheitert, ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Selbst wenn ein Termin bereits steht, bleibt es meist beim Abschiebeversuch. 2023 waren im Schnitt fast zwei von drei geplanten Abschiebungen erfolglos.
So waren 2023 in Deutschland 242.642 Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig, 193.972 davon waren geduldet – also war ihre Abschiebung vorübergehend ausgesetzt. Das macht 48.670 Personen, die das Land eigentlich hätten verlassen müssen. Allerdings scheiterten bundesweit 31.330 Abschiebungen, nur rund 16.400 wurden erfolgreich umgesetzt. Das erklärt die Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion.
Vor allem zwei Gründe werden für das Scheitern von Abschiebungen genannt: 15.798-mal kam es zu einer „Stornierung des Ersuchens“ – dahinter verbirgt sich oft eine Absage der Charterflüge. Die kurzfristige Weigerung des Ziellandes kann dabei ein Grund sein und damit eine fehlende Landeerlaubnis.