Der FC Bayern treibt den Umbruch der Mannschaft mit einem Knallhart-Kurs voran. Das fordert prominente Opfer und wirft grundsätzliche Fragen auf.
Leon Goretzka machte einen Ausfallschritt und sein rechtes Knie berührte dabei den Rasen. Aber der Ball, den er so eigentlich blocken wollte, wurde ihm trotzdem durch die Beine gespielt. Der Ärger darüber war dem 29-Jährigen anzusehen. Der erste gute Eindruck, den er im ersten offiziellen Training am Mittwochnachmittag unter Vincent Kompany unbedingt machen wollte, war damit dahin.
Goretzka wird in den kommenden Tagen mit Sicherheit noch andere und bessere Gelegenheiten dazu bekommen, sich bei dem neuen Chefcoach des FC Bayern zu empfehlen. Das gilt genauso für Serge Gnabry, mit dem Kompany unmittelbar vor der Aufwärmübung noch gescherzt und ein paar Worte gewechselt hatte.
Nachdem die beiden deutschen Nationalspieler die Heim-EM verpasst und damit auch keinen Turnierurlaub haben, gehören sie nun zu den Frühstartern beim FC Bayern. Ob sie auch nach dem Ende der laufenden Sommertransferphase noch zum Kader des Rekordmeisters gehören werden, ist allerdings fraglich.
Auffällig ist, dass es sich dabei ausnahmslos um Spieler handelt, für die bis zuletzt eigentlich noch Führungsrollen in der Mannschaft vorgesehen waren. Die Bayern um Sportvorstand Max Eberl und Kompany machen jetzt aber Ernst mit dem Kaderumbruch und wollen der Mannschaft nach der ersten titellosen Saison seit zwölf Jahren unbedingt ein neues Gesicht geben.
Es gebe zwar keine Streichliste, sagte Eberl schon Ende Mai bei der Vorstellung des neuen Coaches. „Aber es wird Spieler geben, die es schwerer haben könnten.“ Denen man genau das dann auch ganz offen kommunizieren werde, so Eberl: „Wir reden hier eben über Leistungssport auf allerhöchstem Niveau.“
Die klare Botschaft, die den betreffenden Profis inzwischen auch übermittelt wurde: Der neue Knallhart-Kurs macht auch vor ehemaligen Führungsspielern oder deren Verdiensten in der Vergangenheit keinen Halt. Niemand soll seinen Platz in der Mannschaft mehr sicher haben, jeder muss sich jetzt neu beweisen. Wie auch die „Sport Bild“ berichtet, sollen Kimmich und Goretzka, die einst noch als das zentrale Führungs-Duo der Zukunft galten, ebenfalls zu den Spielern gehören, denen genau das mitgeteilt wurde.
Die Anwendung des Leistungsprinzips ist im Profisport legitim und sogar notwendig. Aber ist ein solch radikaler Umbruch ohne Rücksicht auf Verdienste und Verluste auch noch in Einklang mit den Werten eines Klubs zu bringen, der sich ja so gerne als vom Familiengedanken geleitet geriert? Ist das noch „Bayern-like“ und entspricht dem „Mia-San-Mia“-Gedanken? Dieses Leitmotiv des Rekordmeisters steht damit nun zumindest auf der Probe. Ob es eine Zerreißprobe werden wird, bleibt abzuwarten. Ein großer Spagat und ein heikler Balanceakt ist es jetzt schon.
Das wird am Beispiel von de Ligt bislang am deutlichsten. Der Niederländer, der sich in der vergangenen Saison noch gegen seine schwächelnden Konkurrenten Dayot Upamecano und Min-jae Kim behauptet hatte und Bayerns stabilster Abwehrspieler war, soll den Verein jetzt offenbar verlassen. Er steht unmittelbar vor dem Absprung zu Manchester United – und könnte nach seinem EM-Urlaub möglicherweise nicht mehr nach München zurückkehren.