Am 20. Juli 1944 wollten Widerstandskämpfer Adolf Hitler töten, doch das Attentat misslang. Noch in der jungen Bundesrepublik Deutschland galten die Männer und Frauen des Widerstands als Verräter.
Die Geschichte hätte am 20. Juli 1944 einen anderen Verlauf nehmen können. In der „Wolfsschanze“, Adolf Hitlers Führerhauptquartier in Ostpreußen, platzierte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine Bombe, die den Diktator töten sollte. Doch Hitler überlebte die Explosion. Von „Vorsehung“ faselte der Despot, dabei hatten „widrige Umstände“ den Widerstandskämpfern und ihren Plänen zum Umsturz im Wege gestanden, wie es der Historiker Antony Beevor einmal ausgedrückt hat.
Einen dieser Umstände stellte Otto Ernst Remer dar, der als Major der Wehrmacht in Berlin das Wachregiment befehligte. Remer, Nazi durch und durch, aber auch Befehlen mit Kadavergehorsam folgend, war von den Widerstandskämpfern dafür vorgesehen, die Hauptstadt kontrollieren zu helfen. Allerdings misslang das Vorhaben, Remer erfuhr in kritischer Stunde, dass die Bombe Hitlers Leben nicht beendet hatte.
Nun standen Remer und seine Soldaten zur Verfügung, um dem Umsturzversuch des 20. Juli 1944 ein Ende zu machen – ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zum Scheitern. Stauffenberg starb noch in der Nacht vor einem Erschießungskommando, zusammen mit einigen Mitverschwörern. Sie sollten nicht die letzten sein, denn Hitlers Rachedurst war lange nicht gestillt. Eidbrecher waren sie für ihn, als Verräter verdammte er sie, so wie viele Deutsche auch. Der 20. Juli 1944 war gescheitert, die Männer und Frauen, die Hitler und Konsorten aufhalten wollten, waren nun gebrandmarkt im Nationalsozialismus, der Abermillionen Menschen durch Weltkrieg und Holocaust das Leben gekostet hatte.
Am Ende war der Nationalsozialismus erst am 8. Mai 1945, als die Wehrmacht bedingungslos kapitulierte. Doch die Verurteilung, Schmähung und Diffamierung der umgebrachten und noch lebenden Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 wie ihrer Angehörigen ging auch in der jungen westdeutschen Demokratie seit 1949 ungebrochen weiter. Das Attentat auf Hitler war und ist ein Deutungskampf, bis heute.
„Der 20. Juli 1944 war immer ein schwieriges Datum und ein Stachel im Fleisch deutscher Selbstgewissheit“, schreibt die Journalistin Ruth Hoffmann ganz richtig in ihrem wichtigen und alte Legenden zertrümmernden Buch „Das deutsche Alibi“. „Weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte, das von nichts gewusst habe.“
In den Fünfzigerjahren setzte sich dann ein Mann das Ziel, das Bild vom 20. Juli 1944 historisch gerade zu ziehen und Hitlers Verdikt zu entlarven: Fritz Bauer, Jurist und Generalstaatsanwalt in der niedersächsischen Stadt Braunschweig. Bauer war Jude, 1936 aus Deutschland geflohen, Jahre später aus dem von der Wehrmacht besetzten Dänemark und im Jahr der Gründung der Bundesrepublik 1949 heimgekommen.
Bauer war seitdem schockiert: Der Nationalsozialismus war im Mai 1945 zwar besiegt, die Nationalsozialisten mit ihm aber nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie bekleideten in der jungen Bundesrepublik munter Posten und verfügten wieder über Macht. Einer von ihnen war Otto Ernst Remer, der sich nach dem 20. Juli 1944 in Hitlers Gunst sonnen konnte und es so schließlich in jungen Jahren bis zum Generalmajor gebracht hatte.
Der fanatische Nazi Remer hielt auch im neuen demokratischen Westdeutschland seiner Vergangenheit zum Trotz nicht den Mund. Remer war Mitglied der Sozialistischen Reichspartei (SRP), die aus ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung keinen Hehl machte, und äußerte immer wieder seinen Hass auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli. Der verlorene Krieg? Die Schuld des Widerstands, deren Angehörige doch bestochen worden wären von Deutschlands Gegnern. So hetzte und hetzte Remer ungehindert.
Dem Einhalt gebieten wollte 1951 Robert Lehr, seines Zeichens Bundesinnenminister, der aufgrund seiner eigenen Verbindungen zum Widerstand Remers Treiben nicht mehr zusehen mochte: Er zeigte Remer an. Ein mutiger Schritt in dieser Zeit, denn „noch immer wog das Wohlergehen der Täter und Mitläufer schwerer als das der Opfer“, wie Ruth Hoffmann resümiert. Für Fritz Bauer war es die Gelegenheit.