Die Aufarbeitung der Corona-Pandemie dauert noch immer an. Nun zeigt ein Bericht: Die frühere Bundesregierung soll unter anderem maßlos Desinfektionsmittel gekauft haben.
Protokolle mit Sprengkraft: Dokumente des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung zeigen eine fragwürdige Bevorzugung der Türkei sowie einen maßlosen Kauf von Desinfektionsmitteln. Das berichten NDR, WDR und die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ).
Bei den Protokollen handelt es sich um Dokumente, welche erst nach jahrelangen Verzögerungen und gerichtlichen Auseinandersetzungen veröffentlicht wurden. Sie zeichnen ein Bild von fragwürdigen Entscheidungen und verschleudernden Ressourcen.
Laut den Medienberichten hätten Innenminister Horst Seehofer (CSU) und das Kanzleramt unter Angela Merkel (CDU) im Juli 2020 offen für die türkischen Forderungen zur Aufhebung von Reisewarnungen für beliebte Tourismusregionen reagiert. Es heißt in den Protokollen: „Die Türkei hat in Minister-Gesprächen massiv für eine Aufhebung der Reisewarnung geworben“, und das Innenministerium habe hervorgehoben, dass Seehofer dem „grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber steht“.
Und das trotz Warnungen aus dem Gesundheitsministerium, dass „Unsicherheiten“ bestehen und lediglich „geringe Testkapazitäten“ in der Türkei vorliegen. Ein weiterer Punkt betrifft den maßlosen Einkauf von Desinfektionsmitteln.
Laut einem Protokoll vom 12. Mai 2020 wurde festgestellt: „dass für die Bundesebene mehr Desinfektionsmittel (insgesamt etwa sechs Millionen Liter) bestellt worden seien, als Lagerungskapazitäten zur Verfügung stehen“. Diese Anschaffung führte später dazu, dass die Bundesregierung einen Großteil der Mittel weit unter Preisniveau wieder verkaufen musste – ein Verlustgeschäft.
Laut Innenministerium habe man bis in den September 2020 insgesamt 7,9 Millionen Liter Desinfektionsmittel zum Preis von 50,2 Millionen Euro gekauft. Im Frühjahr 2022 habe die Regierung letztlich beschlossen, die restlichen 6,7 Millionen Liter für 725.000 Euro an ein Versorgungsunternehmen zu verkaufen. So habe man „eine sehr kostspielige Gefahrgutentsorgung vermieden“. Gegenüber den Medien äußerte sich das Gesundheitsministerium nicht dazu.
Auch das Problem der Kommunikation mit der Bevölkerung wurde deutlich. Ein Zitat aus dem Protokoll vom 4. August 2020 bringt es auf den Punkt: „Problematisch ist, dass in Teilen der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber den klassischen Medien/Informationsgebern herrscht“.
Als Lösung hierfür sah man die Zusammenarbeit mit Influencern, wie NDR, WDR und „SZ“ berichten. Das Bundespresseamt nannte 32 Personen mit hoher Reichweite auf Instagram, YouTube und TikTok, an die insgesamt rund 489.000 Euro ausgezahlt wurden. Dazu heißt es in den Protokollen: Das Bundespresseamt „konzentriert sich diesbezüglich auf Nutzer und Influencer, die sich zwar in den etablierten Informations-Blasen bewegen, gleichzeitig aber noch Bezüge zu den etablierten Medien haben“. Darunter auch die bekannten Influencer Fynn Kliemann oder Sarah Engels. Beide äußerten sich auf Anfrage nicht dazu.
Die nun veröffentlichten Protokolle hat das Portal „Frag-den-Staat“ gerichtlich erstritten. Eines fehlt allerdings: Das Protokoll zu jener Sitzung, in der über ein Strategiepapier von Wissenschaftlern debattiert wurde, wie die Öffentlichkeit zu informieren sei. Das Innenministerium schlug vor, mit einer „Schockwirkung“ zu arbeiten.