Berlin Die Innenminister von Bund und Ländern wollen Messengerdienste wie Telegram schärfer regulieren, um die Radikalisierung von Gegnern der staatlichen Coronapolitik einzudämmen. „Gegen Hetze, Gewalt und Hass im Netz müssen wir entschlossener vorgehen“, sagte die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Auch Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht Handlungsbedarf. Auf Telegram werde für Demonstrationen geworben und zu Gewalt aufgerufen. Zudem würden dort Adressen von Politikerinnen und Politikern veröffentlicht, sagte Maier im ZDF. „Hier muss durchgegriffen werden.“ Ähnlich hatte sich jüngst auch die Innenministerkonferenz positioniert.
Experten sehen Telegram als Mobilisierungsplattform für Coronaproteste wie die am Wochenende in zahlreichen deutschen Städten, als es zum Teil auch zu Ausschreitungen kam. So weist etwa die Amadeu Antonio Stiftung darauf hin, dass die rechtsextremistische Gruppierung „Freie Sachsen“ für Anti-Corona-Aktionen über einen Telegram-Channel mit mehr als 100.000 Nutzern mobilisiert. Auch die von ZDF-Reportern entdeckten Chats mit Todesdrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) liefen nach Angaben des Senders über Telegram.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU), zeigte sich besorgt über das gewalttätige Vorgehen einzelner Demonstrierender gegen Polizisten. „Diese kleine, radikale Minderheit befindet sich in einer gefährlichen Radikalisierungs-Spirale: Der Protest wird immer lauter, immer heftiger, immer brutaler“, sagte der baden-württembergische Innenminister dem Handelsblatt. „Doch wer verfassungsfeindlich handelt, wer Gewalt herbeireden oder gar anwenden will, wer hassend und hetzend unterwegs ist, wird mit allen Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen.“
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Der Messengerdienst Telegram hat den Ruf, jegliche Inhalte ohne Moderation zuzulassen. Neben individueller Kommunikation sind auch öffentliche Kanäle möglich. Laut einer Untersuchung des Institute for Strategic Dialogue finden sich auf Telegram besonders viele rechtsextremistische und rechtspopulistische Kanäle. In Deutschland verpflichtet das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Betreiber von sozialen Netzwerken mit mindestens zwei Millionen Nutzern, eine Möglichkeit zur Beschwerde anzubieten sowie strafbare Inhalte wie etwa Hasskriminalität zu bekämpfen. Ab dem kommenden Jahr müssen Anbieter sozialer Netzwerke außerdem dem Bundeskriminalamt rechtswidrige Inhalte melden. Das gilt aktuell noch nicht für Messengerdienste wie Telegram.
FDP und Grüne für schärfere Vorgaben
Die FDP will das nicht hinnehmen. „Telegram darf kein Biotop für Straftäter sein, die für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Fraktionsvize Konstantin Kuhle dem Handelsblatt. „Der Staat darf sich von Querdenkern und Verschwörungsideologen nicht erpressen lassen, die auf der Plattform Gewaltaufrufe verbreiten.“ Diese Äußerungen hätten mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nichts zu tun, sondern seien Straftaten, die von der zuständigen Staatsanwaltschaft verfolgt werden müssen.
Kuhle fordert, das NetzDG dringend zu überarbeiten. „Es enthält ein grundsätzliches Drawback: Über die Strafbarkeit einzelner Inhalte muss in Deutschland die Justiz entscheiden und nicht personal Unternehmen“, sagte Fraktionsvize Konstantin Kuhle dem Handelsblatt. „Diese unterliegen als Plattformbetreiber nämlich einem Interessenkonflikt, weil sie von der Reichweite und Geschwindigkeit der Äußerungen auf ihren Plattformen selbst profitieren.“
Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz mahnte, „offenkundig bestehende Durchsetzungsdefizite schnellstmöglich abzustellen und nötigenfalls gesetzgeberisch nachzujustieren“. „Plattformen wie Telegram entziehen sich heute sehr bewusst der Regulierung“, sagte er dem Handelsblatt. Angesichts der weiter voranschreitenden Radikalisierung müsse daher nun schnellstmöglich die bestendende Regulierung den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten angepasst werden.
Von Notz betonte indes auch, dass es nicht ausreiche, sich allein auf Plattformen zu fokussieren. „Vielmehr braucht es auch weiterhin eine Gesamtstrategie gegen die weitere Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft“, sagte er. Die Ampelkoalition hätte sehr konkrete Maßnahmen vereinbart, darunter etwa „die nachhaltige Finanzierung zivilgesellschaftlichen Engagements über ein Demokratiefördergesetz“.
Im Fall von Telegram struggle die Politik nicht untätig. Es sind zwei Bußgeldverfahren des Bundesamts für Justiz anhängig, weil das Unternehmen die im NetzDG geforderten Meldewege für straffähige Inhalte nicht eingerichtet haben soll. Die Verfahren befinden sich derzeit im Stadium der Anhörung.
Ob das Vorgehen Erfolg hat, ist ungewiss. Telegram-Gründer Pawel Durow betont immer wieder, dass sein Dienst keine kontroversen Inhalte etwa zu Corona lösche oder Daten an Behörden weitergebe.
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