in vielen deutschen und internationalen Unternehmen herrschte am Wochenende Ausnahmezustand. Die Kerzen auf dem Adventskranz brannten nicht. Dringend gefragt waren die IT-Administratoren: Sie mussten sich um gravierende Sicherheitslücken kümmern. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) rief die höchste Warnstufe aus – alles auf Rot. Die vorhandene Lücke werde bereits aktiv von Kriminellen genutzt, warnte das Amt, dessen Chef Arne Schönbohm appellierte: „Bitte alle mithelfen!“
Von den angesprochenen IT-Sicherheitsexperten äußert sich unter anderem Manuel Atug: „Ja, Leute, die Scheiße brennt lichterloh. Schönreden nützt nix.“ Zum Einfallstor für Hacker wird der sehr verbreitete Programmschnipsel „Log4j“. Betroffen sind 140 Unternehmen, etwa die Clouddienste von Amazon und Apple, aber auch die Gaming-Plattform Steam. Es kommentiert Karl Kraus: „Besser es wird einem nichts gestohlen. Dann hat man wenigstens keine Scherereien mit der Polizei.“
Krise? Welche Krise? Wir schreiben zwar andauernd von Corona, Rohstoff-Inflation, Lieferengpässen und Protektionismus. Doch Deutschlands 40 größte Börsenunternehmen segeln im Paralleluniversum günstiger Winde. Mit einem Nettogewinn von insgesamt knapp 120 Milliarden Euro haben sie mehr als doppelt soviel verdient wie 2020. Die Folge: Die Prime-Konzerne schütten dieses Jahr mit rund 45,5 Milliarden nach unseren Berechnungen 25 Prozent mehr an Dividenden aus als im Jahr zuvor. Das ist neuer Rekord.
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Ein Rekord im Übrigen, der alle Analysen vom Ende des „Shareholder Values“ als Gerede entlarvt. Die Theorie des 89-jährigen US-Ökonomen Alfred Rappaport lebt einfach weiter, ganz zur Wohlfahrt der Aktionäre. Heutzutage arbeitet nicht der Mensch, sondern sein Geld.
Ganz nebenbei fällt auf, dass viele der deutschen Dividendenkönige in der anhaltenden Pandemiephase Kurzarbeitergeld bezogen haben. Das stammt aus den Milliarden-Beiträgen, die Firmen und ihre Mitarbeiter monatlich an die Sozialkassen abführen. Die massiven Zahlungen aber sind am Ende auch Staatshilfen, die zur finanziellen Disposition sehr helfen. Fraglich sind angesichts der vollen Füllhörner auch 1,1 Milliarden Euro Staatssubventionen, die an die Prime 20 im Dax fließen.
Der größte Empfänger von Fördergeldern ist, so der Bund der Steuerzahler, Airbus mit 327 Millionen Euro, gefolgt von BASF (147 Millionen) und Siemens (142 Millionen). Und mit einer Aktienrendite von mehr als fünf Prozent sind Allianz, BASF und Covestro derzeit Spitze. Mit Ausnahme von Siemens Vitality können sich alle Dax-Firmen die üppigen Ausschüttungen auch leisten, die sprudelnden Gewinne machen’s möglich.
Am morgigen Dienstag präsentiert die EU-Kommission einen weitreichenden Plan. Es geht um ein Gesetzespaket zum Gasmarkt – und Pläne, die Beimischung von Wasserstoff ins Gasnetz vorzubereiten. Einige Praxistests laufen bereits, etwa in Erftstadt-Niederberg: Wer hier mit Erdgas heizt, wird bald auf Wasserstoff umstellen, jedenfalls zu 20 Prozent. Intestine für die Umwelt und die Kunden ist das Projekt aber erst, wenn nicht konventionell hergestellter Wasserstoff eingespeist wird, sondern „grüner“, klimaneutraler Wasserstoff. Der steht derzeit aber nur in kleinen Portionen zur Verfügung.
Kritik kommt von Klimaschützern wie Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe: „Häuser werden in Zukunft mit Wärmepumpe oder Fernwärme beheizt werden müssen. Wer so tut, als könnten die Kunden ihre Gasheizungen behalten, lockt sie in eine Kostenfalle.“ Das sieht der Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft ganz anders: „Der Einsatz von Wasserstoff auch im Wärmemarkt ist äußerst sinnvoll.“ Sicher ist: Gaskraftwerke sind nach dem Aus für Atom und Kohle unentbehrlich als Sicherheitssystem, falls Windräder und Solarpanele einmal nicht genug Strom liefern sollten.
Dass ihr Ressort nicht gerade automatisch Gewinnerthemen produziert, dürfte der neuen Außenministerin Annalena Baerbock schon vorher klar gewesen sein. Kurz nach dem Amtsantritt der Grünen-Politikerin aber zeigt sich, wie groß die Fallen in Wirklichkeit sind – am Beispiel der fertiggestellten Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, der ihre letzte Genehmigung fehlt.
- Mit Bezug auf den Koalitionsvertrag bedeutet Baerbock, dass nach jetzigem Stand die deutsch-russische Gasoline-Pipeline „so nicht“ genehmigt werden kann. Grund seien nicht erfüllte Vorgaben des europäischen Energierechts, so Baerbock. Im Wahlkampf hatten die Grünen einen Baustopp gefordert, im Gegensatz zu den Sozialdemokraten.
- Im Koalitionsvertrag mit SPD, den Grünen und der FDP fehlt eine nachdrückliche Erwähnung der Pipeline. Die Bundesnetzagentur hat bereits eine Trennung der Bereiche Handel und Transport verlangt und daher das Genehmigungsverfahren für die Leitung ausgesetzt.
- Die Nord-Stream-2-Frage sorgt seit Jahren für politische Spannungen im Theater der Weltpolitik. Die Ukraine sieht hier einen Versuch Russlands, das Land beim Gastransport auszuschalten. Die USA wiederum werfen Deutschland vor, sich von russischem Gasoline abhängig zu machen.
Wie Otto von Bismarck angeblich sagte: „Wenn irgendwo zwischen zwei Mächten ein noch so harmlos aussehender Pakt geschlossen wird, muss man sich sofort fragen, wer hier umgebracht werden soll.“
Und dann ist da noch das Formel-1-Geschäft, das dem Getränkekonzern Pink Bull derzeit jene Flügel verleiht, die dem eigenen Fußballklub RB Leipzig bei seinem Ausscheiden aus der Champions League fehlten. Rennfahrer Max Verstappen schloss das letzte Rennen der Formel-1-Saison gestern in Abu Dhabi mit dem Gesamtsieg ab. Damit endet die Siegesserie des Mercedes-Piloten Lewis Hamilton, der seit 2014 insgesamt sechsmal triumphiert hatte – und nun beim Showdown knapp verlor. Kurz vor Schluss musste er sich überholen lassen. Proteste des Mercedes-Groups unter Toto Wolff wurden zweimal abgewiesen, man geht in Berufung.
Offenbar muss Mercedes das Gefühl verkraften, doch nicht der „FC Bayern München des Rennsports“ zu sein, der in der hochtourigen Kreislaufwirtschaft der Boliden jedes Jahr gewinnt und am Ende das Ganze so langweilig wie die Bundesliga macht. Dabei geht es laut Rennsport-Idol Michael Schumacher bei der Formel 1 im Prinzip nur darum, „als erster Feierabend“ zu machen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Begin in Woche, vielleicht haben Sie eine Pole-Place.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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